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Zu keinem ein Wort

Titel: Zu keinem ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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bewusst, dass dies eine ausgesprochen dumme Formulierung gewesen war. Was, wenn er nun antworten würde: ›Wenn du nicht von ihr getrennt werden willst, dann kannst du ja mit ihr auf Transport.‹ Beschämt sah ich zu Boden. Ich war sicher, dass ich alles falsch gemacht hatte.
    Da räusperte er sich und sagte: »Wie sieht Ihre Schwester aus? Und können Sie mir bitte den Namen der Pflegefamilie hier notieren?«
    Er reichte mir einen kleinen Schreibblock und einen Bleistift.
    Ich beschrieb ihm Jutta und notierte den Familiennamen. Dann erst sah ich ihm wieder in die Augen. Er lächelte mir aufmunternd zu: »Ich kann nichts versprechen. Aber ich werde heute Abend nach Einbruch der Dunkelheit versuchen, was möglich ist. Sorgen Sie bitte dafür, dass der Seiteneingang zum Nachbargebäude auch abends unverschlossen bleibt.« Dann verbeugte er
sich höflich und verließ vor mir den Raum, ohne sich noch mal umzuschauen.
    Ich konnte es kaum fassen. Das sollte ein Nazi sein? Jemand, der für Hitler war und alle Juden hasste?
    Seit ich nicht mehr im Waisenhaus war, hatte ich wieder begonnen, ab und zu Tagebuch zu schreiben. Am Nachmittag notierte ich: »Ich war bei dem nettesten SS-Mann, den es gibt!« 17
    Auch Jakov konnte meine Schilderung dieser Begegnung kaum glauben. Aber wo sollte Jutta bleiben, wenn es Alfons Zündler tatsächlich gelingen sollte, sie am Abend herauszuschmuggeln? Wir gingen alle möglichen Bekannten durch, die wir hätten fragen können. Tante Meta hätte Jutta in höchster Not sicher aufgenommen, aber sie war inzwischen selbst abgeholt worden. Außerdem war Jutta, wenn die Flucht aus der Schouwburg gelingen sollte, illegal, das heißt, sie konnte nicht mehr einfach auf der Straße herumlaufen, sondern musste irgendwo untertauchen. Ein schrecklicher Gedanke!
    Â»Deinen Stempel, durch den du jetzt noch bis auf weiteres zurückgestellt bist, kannst du bald vergessen«, meinte Jakov nüchtern. »Die Nazis wollen Amsterdam ›judenrein‹ machen, wie sie das nennen, und da ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir auch auf der Liste stehen.«
    Â»Aber was machen wir jetzt mit Jutta?«
    Plötzlich fielen mir die beiden netten jungen Lehrerinnen von der Haushaltungsschule wieder ein, die zu Beginn des Krieges vor der ganzen Klasse ihre Abscheu vor den Methoden der Nazis erklärt hatten. Jakov hatte vor einigen Wochen schon, als ich ihm einmal von
den beiden erzählt hatte, beiläufig erwähnt, dass er von einem Freund, der dem Widerstand nahe stand, das Gerücht gehört habe, dass sie inzwischen mithalfen, jüdische Kinder zu retten. Und Jutta und ich waren irgendwann einmal an ihrer Wohnung vorbeigelaufen, da hatten sie zufällig aus dem Fenster geschaut und uns freundlich zugewinkt.
    Â»Jakov, ich kann jetzt unmöglich weg von der Arbeit. Kannst du bei den beiden vorbeigehen und vorsichtig fragen, ob sie sich noch an mich erinnern, an mich und meine jüngere Schwester Jutta? Mehr erst mal nicht... warte lieber ab, wie sie reagieren.« Ich sagte ihm, dass die beiden Lehrerinnen, Juffrouw Ouweleen und Juffrouw Hoefsmit, inzwischen in der Botticellistraat, ebenfalls in Amsterdam-Süd, in einer kleinen Wohnung im Obergeschoss zusammenwohnten.
    Â»Botticellistraat? Das ist um die Ecke von der Euterpestraat!«, rief er erschrocken. In der Euterpestraat war die Folterzentrale des SD, des Sicherheitsdienstes der Nazis, untergebracht.
    Â»Dann ist es da bestimmt besonders sicher«, gab ich zurück. Und wir mussten plötzlich beide lachen. So war das manchmal. Wenn die Spannung am größten war, konnte einem nur noch Humor helfen. Jakov machte sich auf den Weg.
    Ich begegnete am frühen Abend noch einmal Walter Süskind, merkte aber, dass er den Kontakt mit mir vermied, und respektierte das.
    Noch am gleichen Nachmittag kam Jakov aufgeregt zurück: »Die beiden haben bereits Kinder in ihrer Wohnung versteckt!«

    Â»Und was haben sie wegen Jutta gesagt?«
    Â»Sie haben gesagt, sie soll kommen. Sie würden schon für sie sorgen. Ist das nicht unglaublich?«
    Wenn jetzt nur der SS-Mann tatsächlich sein Wort hielt.
    Kurz vor 20 Uhr machte sich Jakov auf den Heimweg zu den Granaats. Ich achtete darauf, dass der Seitenausgang unverschlossen blieb, und setzte mich mit einer Decke um die Schultern auf einen Stuhl in der Nähe, um notfalls die ganze Nacht hier zu warten. Ich

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