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Zu keinem ein Wort

Titel: Zu keinem ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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im Januar 1943 Prinzessin Margriet, die Tochter von Königin Juliana, im englischen Exil geboren worden war. Ich konnte kaum glauben, dass ein SS-Mann die Bedeutung dieses Zeichens kannte. Aber ich hatte keine Wahl. Zunächst verabschiedete ich mich von Jakov, der zur Schule musste und versprach, am Nachmittag wieder vorbeizukommen. Dann wartete ich ungeduldig, bis endlich die Teeund Kaffeekannen gefüllt wurden, damit ich mit einem der Essenskarren unauffällig hinüber zur Schouwburg
konnte. In dem Moment kam Sieny auf mich zu und reichte mir einen in eine hellblaue Decke gewickelten Säugling: »Cilly, der Kleine muss rübergebracht werden zu seiner Mutter, die gehen noch heute auf Transport. Kannst du das eben machen?«
    Â»Ja«, sagte ich, »mach ich.« Selbst zu Sieny wollte ich nichts weiter sagen, um das Bevorstehende nicht zu gefährden.
    Ich nahm das Baby auf den Arm und lief über die Straße zur Schouwburg . Der Kleine war nur wenige Tage bei uns gewesen. Aber ich kannte seinen Namen. Die Angestellte vom Jüdischen Rat bat mich, direkt zur Bühne durchzugehen und dort das Kind auszurufen. Dann würde die Mutter sich melden. Auf dem Weg dorthin schaute ich mich überall nach Jutta um, konnte sie aber nirgends entdecken. Im Stillen dachte ich: Jetzt bist du in der Höhle des Löwen.
    Nur einmal rief ich den Namen des Kindes in den Saal, als auch schon eine junge Mutter, höchstens zwei oder drei Jahre älter als ich, den Kleinen überglücklich in die Arme schloss: »Mein süßer kleiner David, jetzt bleibst du aber bei deiner Mama, was?« Das tat weh. Warum hatten der kleine Junge und seine Mutter nicht entkommen können? Oder hatten sie nicht gewollt, weil sie das Risiko einer Flucht als höher einschätzten als den Weg zum angeblichen ›Arbeitseinsatz‹, an den doch immer weniger wirklich glaubten?
    Noch einmal schaute ich mich suchend nach Jutta um. Da entdeckte ich sie plötzlich - verängstigt kauerte sie in einer der vorderen Stuhlreihen. Ich rief leise ihren Namen und nun erst kam sie auf mich zu. Ich wusste
nicht, ob ich den Plan zu ihrer Befreiung gefährden würde, wenn man uns zusammen sähe. Deshalb sagte ich nur ein paar kurze, beruhigende Worte zu ihr: »Jettel, hab keine Angst. Es ist noch nichts verloren. Ich versuche alles...« Jutta nickte nur stumm. Es schien, als wäre sie wie betäubt von dem, was um sie herum geschah. Dann erhob ich mich und ging langsam die paar Schritte auf die hinteren Kulissen zu. Ein älterer SS-Mann stand in der Nähe des Ausgangs, würdigte mich jedoch keines Blickes. Mir blieb nichts anderes übrig, als unverrichteter Dinge wieder zurück in die Crèche zu laufen. Dort lief ich beinah Virrie in die Arme, die mich zur Seite nahm und gar nicht erst zu Wort kommen ließ: »Cilly, wo bleibst du denn? Dieser Deutsche ist schon hier und wartet auf dich.«
    Erschrocken schaute ich sie an. »Wo ist er?«
    Â»Damit euch niemand sieht oder zuhören kann, habe ich ihm gesagt, er soll in der Umkleidekammer auf dich warten.«
    Schon hatte ich mich losgemacht und wollte zu ihm laufen, als Virrie mich noch mal zurückhielt und leise sagte: »Sei vorsichtig mit dem Mann allein im Zimmer. Man weiß nie...!« Ich stürzte zur Umkleidekammer, klopfte kurz an und trat in den etwas schummrigen Raum. Bevor sich meine Augen an das andere Licht gewöhnen konnten, vernahm ich die Stimme eines jungen Mannes: »Fräulein Levitus? Sie wollten mich sprechen? Ich bin Alfons Zündler und hatte vorhin eine kurze Unterredung mit Herrn Süskind.«
    Â»Ja... also... ich...«, stotterte ich. Ich war auf einen unfreundlichen Deutschen vorbereitet, der mich zuerst
verhören oder zurechtweisen würde. Nun konnte ich ihn aber endlich erkennen und sah einen gut aussehenden jungen Mann vor mir, der mich ganz ruhig anschaute. Plötzlich wich trotz seiner Uniform alle Angst von mir und mein Verstand begann wieder normal zu arbeiten. Ich musste ihm klar und offen sagen, worum es ging. Es gab nichts zu verlieren.
    Â»Bitte helfen Sie mir, meine Schwester Jutta aus der Schouwburg zu holen. Sie ist letzte Nacht mit ihrer Pflegefamilie hingebracht worden und befindet sich jetzt im Theatersaal.« Dann fügte ich noch hinzu: »Wir dürfen einfach nicht getrennt werden.« Im selben Moment, in dem ich den letzten Satz aussprach, wurde mir plötzlich

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