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Zu keinem ein Wort

Titel: Zu keinem ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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mit der Kutsche fuhren: So ein weites, offenes Land, ein herrlich blauer Himmel über uns und kein anderes Geräusch als das freundliche Pferdegetrappel! Keine Männer in Uniformen, keine verängstigten Menschen mit zu viel Gepäck und dem Stern auf der Brust, keine gebrüllten Befehle... »Onkel Wim?«, sprach ich ihn nach einer ganzen Weile leise an.
    Â»Ja, Berthy?« Er schaute mich einen Moment freundlich fragend an und sah dann wieder geradeaus auf die Landstraße. Am liebsten hätte ich ihm mein ganzes Herz ausgeschüttet, ihn gefragt, inwieweit er eingeweiht war. Aber dann erinnerte ich mich an Tante Coks Warnung im Zug und sagte nur: »Danke, Onkel Wim!«
    Â»Ach, Kind!«, rief Onkel Wim und schaute weiter geradeaus. »Wofür denn? Wir freuen uns, dass du da weg bist, wo du herkommst.«

    Noch bevor wir sein selbst gebautes Haus in dem kleinen Dorf H. erreichten - Onkel Wim war nämlich Zimmermann - gab er mir noch ein paar praktische Hinweise: »Bei uns im Dorf und auch zu meinen vier kleinen Söhnen habe ich gesagt, das du aus dem zerbombten Rotterdam zur Erholung zu uns gekommen bist. Wir hatten schon einmal einen Soldaten von dort einquartiert, Herman Trui hieß er, und da habe ich gesagt, du bist seine Nichte. Alles klar?«
    Â»Also, ich bin die Nichte von einem Onkel Herman aus Rotterdam, ja?«
    Â»Genau«, lobte er mich. »Warst du schon mal in Rotterdam?«
    Ich schüttelte den Kopf. Aber was machte das schon? Meine angebliche Geburtsstadt Utrecht hatte ich auch noch nie gesehen.
    Â»Nicht schlimm«, meinte Onkel Wim. »Die meisten Leute hier waren auch noch nie in Rotterdam.«
    Schließlich erreichten wir sein Haus am Rande des Dorfes. Vier Jungen kamen aus dem Haus gerannt und sahen mich neugierig an. Sie hießen Harry, Piet, Willy und Fransje und hatten sich wie die Orgelpfeifen vor mir aufgebaut. Ich schaute freundlich zurück. In dem Moment kam Onkel Wims Frau in den Hof, eine rundliche, ebenfalls eher kleine Frau mit dauergewelltem Haar und einer geblümten Schürze. Anders als ihr Mann und die vier Kinder wirkte sie eher distanziert und musterte mich kritisch.
    Onkel Wim war inzwischen vom Kutschbock gesprungen und stellte mir nun seine Frau vor: »Sie heißt beinah so wie du - Tante Berta.« Und zu seiner Frau
meinte er: »Lambertha sagt kein Mensch! Alle nennen sie Berthy.«
    Tante Berta sagte etwas zu ihrem Mann in einem Dialekt, den ich nicht verstand, und ging dann resolut voran ins Haus. Alles war für mich ungewohnt bäuerlich eingerichtet, aber gemütlich und sauber. Noch nie im Leben hatte ich so viele Bilder von Jesus Christus und anderen Heiligen an den Wänden gesehen. Wir standen noch in der Küche, als sie alle vier Jungen, die uns neugierig gefolgt waren, wieder zum Spielen nach draußen schickte und sich mit gesenkter Stimme an mich wandte: »Berthy, mein Mann sieht das alles etwas anders als ich. Ich habe entsetzliche Angst, dass uns jemand verraten könnte. Mit den Deutschen ist nicht zu spaßen. Du wirst dich doch ganz bestimmt nicht verplappern im Dorf, oder?«
    Plötzlich war es, als hätte sich eine dunkle Wolke vor den eben noch hellblauen Himmel geschoben. Die Küche erschien mir auf einmal eng und düster. Bevor ich etwas erwidern konnte, fuhr sie fort: »Du weißt nicht, wie die Leute in so einem Dorf sind! Die wollen alles wissen. Die geben keine Ruhe, bis sie ihre Nasen überall hineingesteckt haben.«
    Ich fragte mich, ob es wirklich eine gute Entscheidung der Tanten gewesen war, mich hierher zu bringen. Aber wie um meine Sorgen zu zerstreuen, kam Onkel Wim in dem Moment durch die weit geöffnete Haustür herein, nahm mich beim Arm und rief: »Hat dir meine Frau eigentlich schon dein Zimmer gezeigt?«
    Er zog mich eine Holztreppe hinauf und einen kleinen Flur entlang, an dessen Ende zwei Türen abgingen.
»Hier links schlafen die Jungen«, erklärte er und öffnete nacheinander beide Türen. »Und hier rechts, das ist deine Kammer.«
    Was für ein schönes und freundliches Zimmer war das! Sogar ein paar Feldblumen standen in einer bauchigen Vase auf dem Tisch vor dem Fenster. Von dort hatte man einen malerischen Blick auf die Dorfstraße, wo in jedem Vorgarten üppige Blumenbeete angelegt waren.
    Â 
    Die nächsten Tage begann ich mich trotz aller Sorgen von Tante Berta schnell einzugewöhnen. Ich fand sogar

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