Zu keinem ein Wort
und dabei die Geschichte verbreiten, dass ich nun, vor Beginn des Winters, wieder nach Rotterdam zurückkehren würde.
Schon am nächsten Tag besuchte ich mehrere Leute im Dorf und erzählte dabei jeweils artig meine Geschichte über Rotterdam. Bei den meisten hatte ich das Gefühl, dass sie traurig waren, weil ich wegging. Bei nur wenigen spürte ich, dass sie mir wirklich glaubten. Vermutlich ahnten tatsächlich schon mehrere, dass ich
nicht die Nichte jenes Soldaten aus Rotterdam war, sondern eine âºIllegaleâ¹. Aber niemand fragte nach oder verriet mich gar.
Am gleichen Abend verlieà ich mit Onkel Wim meine erste Untertauchadresse spätabends auf dem Fahrrad, wobei er meinen Koffer auf seinem Gepäckträger transportierte. Kein Mensch begegnete uns in jener feuchtkalten Herbstnacht.
Als wir die ersten Häuser von D. erreicht hatten, stiegen wir beide ab und gingen die letzten hundert Meter zu FuÃ. Auch dieses Haus lag eher am Rand des Dorfes. Von auÃen schien es, als sei niemand daheim. Alles wirkte dunkel und verlassen.
»Ich weiÃ, dass Frans und seine Frau Mien auf uns warten. Mach dir keine Sorgen, Berthy«, beruhigte mich Onkel Wim. Es sah aus, als wolle er an die Tür klopfen, aber dann hielt er einen Moment inne und flüsterte: »Berthy, am ersten Tag, als ich dich mit dem Pferdewagen vom Bahnhof holte, hast du dich bei mir bedankt. Jetzt will ich mich bei dir bedanken. Du wirst mir sehr fehlen.« Dann gab er mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
Bevor ich etwas erwidern konnte, klopfte Onkel Wim in einem bestimmten Rhythmus an die Holztür. Augenblicklich hörte man von drinnen sich nähernde Schritte und das Geräusch eines metallenen Riegels, der zurückgeschoben wurde. Im ersten Moment erkannte ich den Mann in der Türöffnung nicht wieder. Ohne ein weiteres Wort schob mich Onkel Wim hinein, wandte sich um und war kurz darauf mit seinem Rad in der Dunkelheit verschwunden.
Bei Frans und Mien schien es auÃer ihren vier Kindern noch mehrere andere Menschen zu geben, die hier nächtigten. »Alles Untertaucher!«, meinte Frans etwas groÃspurig zu mir. Ich war erstaunt, wie offen er darüber sprach. Immerhin war ich gerade erst angekommen.
»Ist der kleine Junge aus Amsterdam noch hier?«, fragte ich, während ich meine warme Jacke auszog und nach einem freien Platz suchte, um sie hinzulegen. Anders als bei Onkel Wim und Tante Berta herrschte hier bei Frans und Mien eine ziemliche Unordnung. Die Tapete hing zum Teil in Fetzen von den Wänden, ein paar alte Möbel standen hier und da und alles sah ziemlich schmuddelig und heruntergekommen aus. Ich vermutete, dass es sich hier um die Küche handelte, da ein Herd in einer Ecke noch etwas Wärme verbreitete, aber sicher war ich mir nicht.
»Der ist schon lange weg«, meinte Frans, der ein paar Jahre jünger war als Onkel Wim, aber ähnlich kräftig. Ich wagte nicht nachzufragen, wo sich der kleine Abba, dessen Decknamen ich vergessen hatte, nun befand. »Ich habe aber eine andere Ãberraschung für dich«, fuhr er dann fort. »Hier ist seit einiger Zeit ein Mädchen, Agnes. Sie glaubt, dich zu kennen.«
»Agnes?« Ich überlegte angestrengt, konnte mich aber an keine Agnes erinnern.
Im selben Augenblick ging die Tür zu einem Nebenraum auf und Frans rief: »Schau mal, Agnes, hier ist deine Freundin Berthy!« Vor mir stand mit einem breiten Lächeln meine gute Freundin Suzy aus Amsterdam. Natürlich hatte auch sie hier längst einen geheimen Namen bekommen.
Wir fielen einander in die Arme, und während sie mich noch an sich drückte, flüsterte sie mir ins Ohr: »Endlich, Cilly, ich dachte schon, du würdest deinen Geburtstag ohne mich feiern.« Suzy war auch als Agnes die Alte geblieben - von nichts lieà sie sich unterkriegen. Und, ja, in wenigen Tagen war mein achtzehnter Geburtstag.
»Es ist schon spät«, unterbrach Frans unser Tuscheln. »Kann Berthy bei dir im Bett schlafen, Agnes?«
»Mit Vergnügen!« Suzy nahm mich an der Hand, um mich durch das dunkle Zimmer zu einem der Betten zu führen, in denen, soweit ich es übersehen konnte, jeweils mehrere Personen schliefen.
»Kann ich mir noch die Zähne putzen?«, fragte ich Suzy flüsternd.
»Mit der Sauberkeit ist es hier nicht so weit her, das mach mal lieber morgen früh bei Tageslicht«, schlug sie
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