Zu keinem ein Wort
völlig überraschend und noch Monate vor der SchlieÃung der Schouwburg âºgeräumtâ¹ werden würde - und mit ihr alle noch anwesenden Säuglinge und Kinderpflegerinnen und sogar die alte Directrice , Frau Pimentel. Zum Glück war Suzy inzwischen ebenfalls
mit Hilfe der Tanten untergetaucht und Rosa hatte im allerletzten Moment aus dem Haus flüchten können. Eine Nachbarin berichtete nach dem Krieg, dass nach der âºRäumungsaktionâ¹ nur noch der kleine Brunie, der Hund der Directrice , aufgeregt durch die leeren Räume gerannt sei. 19
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Von all dem hatte ich keine Ahnung, als ich an jenem Sommertag Ende Juni 1943 in die Tram nach Amsterdam-Süd stieg, um zur Botticellistraat 24 zu fahren: Zum ersten Mal seit langer Zeit benutzte ich wieder eine StraÃenbahn. Mir war plötzlich, als spürte ich ein Brennen auf der Brust, genau an der Stelle, an der früher der gelbe Stern aufgenäht war. Würde nicht jeder meinen Schwindel sofort erkennen? Ich tastete nach der neuen Kennkarte in meiner Tasche und holte tief Luft. Nein, niemand beachtete mich. Ich war Lambertha Kroon, sechzehn Jahre alt, christliche Niederländerin aus Utrecht.
Als ich in Amsterdam-Süd ausstieg, fiel mir ein, dass ich noch nie in meinem Leben in Utrecht gewesen war. Aber wie sollte mir das jemand ansehen? Kein Mensch schaute sich nach mir um. Mit jedem Schritt wurde ich ruhiger - zumindest äuÃerlich. Als ich bei Tante Cok und Tante Mies anläutete, wartete eine groÃartige Ãberraschung auf mich: Nachdem die beiden Frauen mich hereingelassen und sich vergewissert hatten, dass mir niemand gefolgt war, riefen sie: »Ihr könnt runterkommen, Kinder!«
Erstaunt sah ich mich um, denn in der kleinen Wohnung, die nur aus einer winzigen Küche und zwei ebenfalls
recht kleinen Zimmern bestand, deren Türen zum Flur hin offen standen, sah ich sonst keine Menschenseele. Aber nur einen Augenblick später hörte ich oben zwischen der Mauer und dem schrägen Dach über der Küche ein leises Rumpeln. Kurz darauf öffnete sich wie von Zauberhand ein quadratisches Stück aus der Wand und wurde an einer Art Strickleiter herabgelassen. Durch die so entstandene Luke krochen nacheinander drei Kinder: Zuerst die Geschwisterkinder Esther und Abba, die wie wir aus Deutschland stammten. Und dann steckte plötzlich Jutta ihren Kopf hindurch und rief begeistert: »Cilly - endlich! Ich hatte mir so gewünscht, dass du kommen würdest!« Alle drei kletterten geschickt hinab. Es schien, als hätten sie das oft geübt.
Jutta und ich freuten uns riesig über das Wiedersehen. Ich sagte: »Aber du musst mich ab jetzt Lambertha nennen.«
Jutta verzog das Gesicht. »Das klingt ja schrecklich. Soll ich dich nicht lieber Berthy nennen?« Alle lachten. Dann fügte Jutta hinzu: »Und ich heiÃe jetzt Marijke.«
Esther und Jutta, also Marijke, lieÃen mich dann sehen, wo sie normalerweise schliefen: Die beiden Mädchen teilten sich ein Bett in einem der kleinen Zimmer. Im gleichen Raum schlief Tante Mies in einem zweiten Bett. Tante Cok schlief im anderen Zimmer und Abba musste, weil unten einfach kein Platz mehr war, auf einer Decke im Versteck über der Küche schlafen. Erst vor wenigen Tagen hatte es sich bewährt, dass die Tanten mit den Kindern mehrfach geübt hatten, in Windeseile nach oben zu klettern und dabei auch drauf zu
achten, dass keine verräterischen Spuren, etwa Teile der Kinderkleidung oder Spielzeug, unten liegen blieben: Eines Morgens um sechs Uhr wurden alle durch ein stürmisches Klingeln aufgeschreckt. Tante Mies dachte erst noch, dass vielleicht der Postbote mit einem Telegramm gekommen sei. Aber als sie aus dem Fenster schaute, sah sie mehrere uniformierte Männer ungeduldig vor der Haustür stehen. Sofort machte sie den Rahmen wieder dicht und rief: »Los, alle nach oben!« Am längsten dauerte es bei dem kleinen Abba, dessen einen Kinderschuh Esther noch im letzten Moment liegen sah und mit ins Versteck nahm. Da hörten sie auch schon die schweren Stiefelschritte der Polizisten die Treppen heraufkommen. Tante Cok öffnete schlieÃlich im Bademantel die Tür und sagte, dass hier nur zwei allein stehende Damen wohnten. Und sie schaffte es, dass die Männer nicht einmal in die Wohnung kamen. Andere Leute in der StraÃe hatten nicht so ein Glück, denn den ganzen Vormittag über hörte man
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