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Zu keinem ein Wort

Titel: Zu keinem ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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Ruhe, um ein früher begonnenes Tagebuch hervorzuholen und endlich wieder regelmäßige Aufzeichnungen zu machen. Natürlich wollten anfangs alle wissen, woher ich kam, wie es in Rotterdam jetzt aussah und wie es meinem Onkel Herman ging. Aber da hatte ich bald eine Standardfassung drauf, die ich immer wieder gleich erzählte, um mich niemals in Widersprüche zu verwickeln: »Den Onkel habe ich selbst schon ewig nicht mehr gesehen, da er für die Deutschen irgendwo zwangsverpflichtet arbeitet, und Rotterdam sieht schrecklich aus, vor allem die zerbombte Innenstadt.« Ja, bestätigten einige, das hätten sie selbst in der Zeitung gesehen.
    Tagsüber half ich vor allem Tante Berta im Haushalt oder mit den Jungen, was immer wieder zu gewissen Spannungen führte, da ich mich ärgerte, wie inkonsequent Tante Berta je nach Laune bestrafte oder sich um gar nichts kümmerte, sodass die Jungen nur das machten, wozu sie Lust hatten. Trotzdem waren sie liebe Kinder, die einfach selbst oft nicht wussten, woran sie waren.
Tante Berta hatte auch all die Jesus-Bilder im Haus aufgehängt. Sie war streng katholisch und achtete stets darauf, dass vor dem Essen mit den Kindern gebetet wurde. Ich tat dann so, als würde ich auch mitsprechen, bewegte aber nur stumm die Lippen und sagte insgeheim unsere hebräischen Tischgebete auf.
    Froh war ich, wenn ich einem benachbarten Bauern bei der Heuernte helfen konnte. Es war wunderschön, am Nachmittag auf der Rückfahrt ins Dorf ganz oben auf dem voll beladenen Wagen im weichen Heu zu liegen und über sich nichts als den blauen Himmel zu sehen. Manchmal begleitete ich auch Onkel Wim, wenn er abends nach der Arbeit zu den umliegenden Bauernhöfen fuhr und dort seinen Lohn für geleistete Zimmermanns-Arbeiten kassierte. Da ich selbst noch nie im Leben ein Fahrrad benutzt hatte, saß ich anfangs bei ihm auf dem Gepäckträger und hielt mich an seinem Rücken fest. Wir hatten viel Spaß dabei. Ich musste manchmal laut lachen. Onkel Wim war äußerlich immer sehr ruhig, aber ich spürte, wie er diese Stunden ebenfalls genoss. Irgendwann meinte er aber, dass es nun wirklich Zeit sei, dass ich selbst Rad fahren lernte.
    Â 
    An einem Sonntag nach der Kirche, in die ich zum Glück nicht mitgehen musste, da ich wegen des Onkels aus Rotterdam als evangelisch galt und es hier keine evangelische Kirche gab, hatte Onkel Wim beschlossen, dass es nun so weit sei: Auf Tante Bertas schwarzem Damenrad gab er mir meine erste ›Fahrstunde‹. Nach einer Weile schauten alle Kinder des Dorfes mit größtem Vergnügen meinen wackligen Übungen zu. Hier beherrschten
die meisten Kinder das Radfahren schon, kaum dass sie richtig laufen konnten. Als Höhepunkt kam sogar noch der Bürgermeister hinzu und gratulierte mir, nachdem ich die erste Runde auf der Dorfstraße geschafft hatte, ohne umzukippen.
    Â»Lambertha Kroon«, rief er so laut, dass alle es hören konnten, »dein Onkel Herman kann stolz auf dich sein. Du bist wirklich die Krone unseres Dorfes!« Alle lachten und klatschten mir Beifall.
    Abends war es meist Onkel Wim, der die vier Jungen zu Bett brachte und danach immer noch bei mir an die Tür klopfte und freundlich: » Slaap lekker , Berthy!« durch die geschlossene Tür rief, wenn ich schon im Bett lag. Er wusste von meinem Freund Jakov, der hier natürlich nur als Jan bekannt war. Ein paar Mal schon hatte ich über die Tanten Briefe von ihm erhalten und so erfahren, dass er Arbeit in einer Gärtnerei auf dem Land gefunden hatte. Auch von Jutta waren verschlüsselte Briefe gekommen, nach denen es schien, als hätte sie es ebenso gut getroffen wie ich. Jakov und ich bestätigten einander jedes Mal, wie lieb wir uns hatten und dass wir jeden Abend vor dem Einschlafen hofften, bald wieder zusammen zu sein. Neben meinem Bett hatte ich Jakovs kleines Foto an die Vase gelehnt und schaute es jeden Morgen als Erstes und jeden Abend als Letztes an.
    Gegen Ende des Sommers - die Tage begannen langsam kürzer zu werden - klopfte Onkel Wim wie immer abends vor dem Einschlafen gegen meine Tür. Aber an diesem Abend wünschte er mir nicht nur eine gute Nacht, sondern drückte leise die Klinke herunter und fragte flüsternd durch den Spalt, ob er hereinkommen
dürfte. Es war so schummrig, dass ich ihn nicht genau erkennen konnte, und so fragte ich nur: »Was ist denn, Onkel Wim? Alles in

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