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Zu keinem ein Wort

Titel: Zu keinem ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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vor. Es roch muffig in dem Zimmer, aber das war natürlich auch kein Wunder bei so vielen Menschen auf engstem Raum. Ich zog nur meine Schuhe und meinen Pullover aus und legte mich neben Suzy ins Bett. Durch die Wiedersehensfreude fiel es mir etwas leichter, die Schattenseiten des neuen Quartiers zu übersehen. Ich weiß nicht, wie lange wir noch miteinander flüsterten, um alle Neuigkeiten auszutauschen. Von Onkel Wims Annäherungen erzählte ich nichts, aber dass ich Nachrichten von Jutta erhalten hatte, ohne ihre genaue Anschrift zu kennen, und dass Jakov sich um eine Arbeit als Flussschiffer bemühen wollte und... und... Irgendwann müssen wir schließlich doch eingeschlafen sein.

    Am nächsten Tag wurde ich erst wach, als sich die meisten anderen bereits aus ihren Betten erhoben hatten und unterschiedlichen Beschäftigungen im Haus nachgingen. Frans hatte früher als Knecht bei einem Müller gearbeitet, ging inzwischen jedoch mit seiner Frau Mien keiner geregelten Arbeit mehr nach, sondern war hauptsächlich für den Widerstand aktiv. Wie er es schaffte, davon zu leben und seine Frau und vier Kinder zu ernähren, blieb mir bis zuletzt ein Rätsel. Auch erschien es mir wie ein Wunder, dass dieses von Untertauchern überfüllte kleine Haus nicht längst aufgeflogen war. Suzy zeigte mir, was verabredet war für den Fall, dass es zu einer Polizeikontrolle kommen sollte: Wenn eines der großen Betten zur Seite geschoben wurde, konnte man dahinter ein Brett aus der Wand nehmen und dadurch in einen hohlen Raum zwischen den Wänden zweier Zimmer klettern. Dieser Stauraum war groß genug, um etwa sechs Erwachsene oder acht bis zehn Kinder zu verbergen. Sehr beeindruckt war ich trotzdem nicht von dieser eher wackligen Konstruktion.
    Aber wie schon so oft: Im Moment gab es keine Alternativen, es blieb uns nur, das Beste aus der Situation zu machen. Eine große Freude bereitete mir ein Päckchen, das Jakov über die Tanten und Frans an mich geschickt hatte und das mich tatsächlich einen Tag vor meinem achtzehnten Geburtstag am 19. Oktober erreichte. Es enthielt das Buch Narziss und Goldmund von Hermann Hesse, einen silbernen Ring mit den Anfangsbuchstaben meines illegalen Namens B. K. sowie einen ausführlichen Brief von Jakov, den er schon am 2. Oktober 1943 an mich geschrieben hatte:

    Liebste Berthy,
    zuallererst will ich dir zu deinem Geburtstag schon jetzt von Herzen gratulieren. Der Grund, warum ich dir jetzt schon schreibe ist, und vielleicht hast du es schon mündlich gehört, dass ich längere Zeit aus den Niederlanden weggehen und als Schiffer zwischen Holland, Belgien und Deutschland schaukeln werde. Wahrscheinlich werde ich nächsten Dienstag abfahren in eine unbekannte Zukunft. Aber ich habe keine Angst, weil ich das Herumziehen liebe, und durch den Umgang mit anderen Menschen und anderen Sitten lebe ich wahrscheinlich wieder auf. So sehr ich ein Zuhause liebe, liebe ich auch die Fremde. Es mag komisch klingen, aber es ist nicht komisch, dass ein Mensch das eine liebt und auch das Gegenteil ihn anzieht. Bei mir liegt die Kluft nur viel tiefer. Und das ist es, was mich manchmal unglücklich bis zur Verzweiflung macht und manchmal so glücklich...
    Aber ich will nicht weiter auf meine persönlichen Fragen eingehen. Vielmehr bin ich neugierig zu hören, was du machst, wie du dich fühlst, ob du gesund bist. Ich freue mich schon auf morgen, wenn ich hoffentlich wieder einen Brief von dir erhalten werde. Ich glaube, ehrlich gesagt, dass du dir keine echte Vorstellung davon machen kannst, wie sehr ich nach dir verlange, danach, wenigstens noch einen Kuss oder Blick zu erhalten, bevor ich diesen neuen Weg antrete. In Gedanken bist du immer in meiner Nähe und ich liebe dein Bild, so wie es noch in mir lebt.
    Ich schicke dir anbei noch ein Buch von Hermann Hesse, das musst du lesen, mit vollster Konzentration
musst du probieren, tief in die Wörter einzudringen... damit tust du alles, was du im Augenblick nur für mich tun kannst (außer dann noch gut auf deine Gesundheit zu achten). Ich zweifle nicht daran, dass wir uns sehr bald wieder sehen. Aber bis zu diesem frohen Tag sei von Herzen geküsst und gegrüßt von deinem Jan.
    Â 
    Ich war tief berührt von diesen Worten. Und doch spürte ich, dass sich in meinen Gefühlen ihm gegenüber etwas verändert hatte. Jakov träumte vom Abenteuer, davon, immer wieder zu

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