Zu nah am Feuer: Roman (German Edition)
genervt.«
»Ein Schocker.«
»Sie hat mir den Laufpass gegeben.«
»Sie will dich sicher zurückhaben.«
»Nein.« Joe schüttelte den Kopf. »Diesmal nicht. Das wird nicht mehr klappen.«
»Noch ein Schocker. Lass mich raten. Sie hat dir den ›Du öffnest dich mir nicht‹-Vorwurf gemacht.«
»Nein, sie wäre sogar bereit, darüber hinwegzusehen, wenn ich mit ihr zusammenziehen würde.«
»Und du hast gesagt: ›Ach, Liebste, wo ist mein Schlüssel? ‹«
»Sehr witzig.« Er warf Kenny eine Taschenlampe zu, und sie gingen ins Haus. Wie immer lenkte die Arbeit Joe ab, und er ging ganz darin auf.
Die Küche war völlig verwüstet. Die Arbeitsflächen, der Fußboden, die Decke und die Wände waren völlig verkohlt, aber auf der anderen Seite des Zimmers standen der Resopaltisch auf seinem Stahlgestell und die Stühle genau an ihrem Platz, die Plastikkissen der Stühle waren allerdings geschmolzen und verbrannt.
Joe schoss noch ein paar weitere Fotos, um den Zustand des Raums für seinen Bericht zu dokumentieren. Dann machte er sich daran, nach Hinweisen für die Brandursache zu forschen. Er untersuchte gerade alles mit einem feinen Kamm, als ihm unter der Spüle etwas auffiel. Vor heute Abend war dort ein Unterschrank gewesen, von dem aber kaum noch etwas übrig war. Als Joe näher trat, ertönte vor dem Haus ein jäher, durchdringender, herzerweichender Schrei. Er hob den Kopf und erwiderte Kennys Blick, der auf der anderen Seite der Küche stand.
»Man hat die Leiche des Kindes gefunden«, sagte sein Partner leise und mit von Mitleid feuchten Augen.
Joe stieß einen langen Seufzer aus und nickte. »Sieh mal.« Er zeigte mit seinem behandschuhten Finger auf die verkohlten Reste eines Wischlappens, der zusammengeknäult unter der Spüle lag. Um mehr zu erkennen, richtete Joe seine Taschenlampe darauf und zog den Lappen langsam hervor. Der Gestank von Farbverdünner stieg ihm unangenehm in die Nase. »Treffer«, sagte er leise.
»Vielleicht wollte die Mutter ja ihren Nagellack entsorgen«, sagte Kenny und trat näher; er spielte den Advocatus diaboli, wie sie es immer taten.
»Mag sein.« Im Lichtstrahl von Joes Taschenlampe erschien ein Kanister mit Farbverdünner; der Kanister stand verdeckt hinter den Wasserleitungen und war von außen verkohlt, aber geöffnet und zur Seite gekippt. »Weil es nämlich sehr viel leichter ist, literweise Farbverdünner zu verwenden statt ein Fläschchen Nagellackentferner.«
Die Frau schrie nach wie vor; das Geräusch riss förmlich ein Loch in Joes Brust. Er leuchtete auf das sorgfältig verschlossene, kindersichere Schloss auf der Innenseite des Unterschranks und sah sich dort genau um: alles kindersichere Produkte, ein Schaumbad, das nicht brannte, Kinderseife.
Keine andere Chemikalie, nicht einmal ein Reinigungsmittel, nichts. Nein, er bezweifelte, dass die Frau einen schweren Kanister dazu benutzt hatte, ihren Nagellack zu entfernen. Und er glaubte auch nicht, dass sie den unter der Spüle aufbewahrte. Joe dachte daran, dass sich der Vater von der Familie getrennt hatte, und es drehte ihm fast den Magen um, als er sich an seinen eigenen gewalttätigen Vater erinnerte. »Wir haben hier einige gute Beweismittel.«
Was ihm aber jetzt, da er die herzzerreißenden Schluchzer der Mutter in der Ferne hörte, keinerlei Befriedigung verschaffte.
Das Gebäude von »Creative Interiors II« lag, zusammen mit anderen Läden und Kunstgalerien, in einem quadratischen Häuserblock im Zentrum von Ocean Beach. Das Häuschen im englischen Fachwerkstil des 16. Jahrhunderts war zweigeschossig und hatte große, offene Räume, die Fenster boten einen Blick auf den Pazifik, der nur eine Straße entfernt lag. Die Räumlichkeiten eigneten sich ideal für Partys, und Summer wusste, dass an diesem Abend ziemlich groß gefeiert würde. Ein Einweihungsfest, und wenn Camille und Tina über eines verfügten, dann über die Fähigkeit, eine Party zu schmeißen.
Allein schon die Vorstellung, wie die vielen Gäste in den beengten Räumen zusammenkamen, rief ein Gefühl der Beklemmung in ihr hervor.
Sie bemühte sich, nicht daran zu denken, während sie mit Stella und Gregg Luftschlangen aufhängte und Luftballons mit Helium füllte. Stella war eine zurückhaltende, hübsche Blondine, reizend und lieb und absolut bescheiden. Gregg war noch stiller, wenn das denn überhaupt möglich war. Summer fragte sich oft, ob die beiden überhaupt mal über die Stränge schlugen. Camille sagte, dass sie
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