Zu nah am Feuer: Roman (German Edition)
auszuschalten. Hier gab es eine Tür, die in den kleinen Raum hinabführte, den man zur Frühstückspause nutzte. Gregg hatte die Tür offen und das Licht angeschaltet gelassen, worüber sie sich ärgerte. So viel zum Thema Ordnung.
Sie blickte die lange, steile, dunkle Treppe hinab. Sie hatte vor wirklich kaum etwas Angst, aber bei dunklen, beengten Orten war das anders. Trotzdem: Die Sache musste erledigt werden. Sie musste da hinuntergehen und das Licht ausschalten. »Mach’s einfach«, sagte sie laut, als würde das helfen.
Die Stufen unter ihr knarrten. Wie auch ein Deckenbalken direkt über ihr. Sie wäre fast aus der Haut gefahren, aber dann lachte sie über sich. »Angsthase.«
Das kleine Fernsehgerät und die Stereoanlage waren ausgeschaltet. Der Tisch war abgeräumt und saubergewischt. Ihr Blick fiel auf den großen Sitzsack. So einen hatte sie früher auch gehabt, er hatte im Kinderzimmer in ihrem Elternhaus gelegen. Oft war sie morgens aufgewacht und hatte Joe darin schlafend gefunden.
Sie stieß mit dem Zeh dagegen, fand, dass er genauso bequem war wie das Original, und ließ sich darauf nieder. Dann lehnte sie sich zurück und betrachtete den Fernseher. Die Fernbedienung lag etwas entfernt, aber sie hatte keine Lust, wieder aufzustehen. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie müde sie war, und schloss die Augen.
Sie dachte daran, was sie hier in Ocean Beach getan hatte, bei ihrem Versuch, sich selbst zu finden. Ihrem Versuch, den Weg zurück zu den Bindungen zu finden, die sie früher einmal gehabt hatte. Hatte sie Fortschritte erzielt? Sie war sich nicht sicher. Verdammt, die alte Summer hätte schon vor Tagen, vor Wochen ihre Sachen gepackt, aber sie war geblieben, weil sie eine andere werden wollte.
Und doch hatte sie kein deutliches Bild entwickelt, wer sie eigentlich sein wollte …
Verwirrt, unsicher, wie lange sie gedöst hatte, riss sie die Augen auf. Ein scharfer, durchdringender Geruch stieg ihr in die Nase.
Rauch .
Überall dicker, erstickender Qualm, sie hustete und konnte kaum etwas erkennen. Nein. Nein, das hier passierte nicht.
Sie zog ihr Hemd über den Mund. Der Rauch umhüllte sie wie eine Decke, erstickte sie. Sie musste raus hier. So viel war ihr klar. Taumelnd lief sie nach oben, besser gesagt: Sie versuchte es, aber ihre Füße wollten irgendwie nicht mitmachen. Sie hatte das Gefühl, sich wie in Zeitlupe zu bewegen, alles war so verschwommen und grau, dass sie plötzlich nicht mehr sicher war, ob das hier wirklich geschah oder ob sie einfach nur einen alten Albtraum von Neuem durchlebte.
Auch damals war da eine Treppe gewesen, wie sie sich mit zunehmender Panik erinnerte. Im Keller, während ihr Vater …
Mach die Tür nicht auf .
Diesen Fehler hatte sie vor zwölf Jahren begangen, sie hatte die Hände nicht erst an die Tür gelegt, sondern sie gleich aufgezogen. Damals hatten der Rauch und die Flammen sie überwältigt. Sie hatte reglos dagestanden, hatte die Schreie ihres Vaters gehört, ein furchterregender Laut unvorstellbaren Schmerzes, und war blindlings geradeaus gelaufen.
Hinter ihr hatte Joe ihr etwas zugerufen und versucht, sie einzuholen.
Aber sie war schneller gelaufen …
Und dann Schwärze. O Gott, was für eine alles verzehrende Schwärze und Verzweiflung. Sie konnte sich an nichts weiter erinnern – bis sie zwei Tage darauf im Krankenhaus schließlich aufgewacht war.
Jetzt presste sie die Lider fest aufeinander, versuchte damit, die Bilder im Kopf zu verdrängen, bis sie die Augen wieder aufmachte. Der Qualm umgab sie noch immer.
Der Albtraum war Wirklichkeit.
Die Tür fühlte sich heiß an, als sie mit den Fäusten dagegenschlug. Nur durch die Tür konnte sie hier rauskommen, aber die ließ sich nicht öffnen, was in ihr ein überwältigendes Gefühl der Klaustrophobie auslöste. Mittlerweile hustete sie unkontrollierbar und sank auf die Knie, auf der falschen Seite der Tür, hin und her gerissen zwischen reiner Todesangst und Wut.
Sie hatte ein hohles Gefühl in der Magengrube und begann zu zittern, noch während ihr der Schweiß ausbrach. Sie legte die Stirn auf die Knie und versuchte sich einzureden, ganz woanders zu sein. Auf der Pier, Zuckerwatte und einen Hotdog essend. Auf einer Fahrradtour in Schottland.
In Joes Armen.
Plötzlich klingelte ihr Mobiltelefon und riss Summer aus ihren Todesängsten. Sie keuchte, schluchzte vor Erleichterung und suchte tief in den Taschen ihres weiten Seidenrocks, aber als sie das Handy schließlich gefunden
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