Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
ihnen die Nachtruhe störte. Muhammad wiederum spürte davon nichts. Er erholte sich im Kreise der Frauen von den Widerwärtigkeiten des Tages, Schwestern und Mutter bedienten und unterhielten ihn wie einen Mann, der Anspruch darauf hat, in den Frauengemächern Entspannung und Zerstreuung zu finden.
Als die Ernte vorüber und alles, was damit zusammenhing, geregelt war, rief Muhammad seine Knechte und Mägde zusammen. »Es wird in diesem Winter hier knapp zugehen«, sagte er. »Doch Öl und Mehl sind genügend vorhanden, sodass ihr nicht zu hungern braucht. Sollte einer von euch jedoch Angst vor Entbehrungen haben, bin ich gern bereit, ihm einen anderen Herrn zu suchen.«
Es meldete sich niemand.
Da wandte sich Muhammad an Welid. »Morgen brechen wir auf«, sagte er.
Welid fragte nicht, wohin. Er wusste, dass es nur einen einzigen Ort gab, der seinem Milchbruder anstand - einen einzigen, der dessen Wissensdurst befriedigen und dessen Ehrgeiz Genüge leisten konnte: Das war Cordoba, die Stadt des Kalifen.
Auf sechzehn steinernen Bogen ruhte die Brücke, die die beiden Ufer des Großen Flusses miteinander verband. Über sie ergoss sich der Verkehr von Süden her in die Stadt des Kalifen. Es war ein unablässiges Kommen und Gehen: Auf Lasttieren brachten die Bauern ihre Feldfrüchte zu Markt; riesige Planwagen wurden von schweren Ochsen gezogen; Kamele trugen die Sänften vornehmer Damen auf ihren Rücken; Reiter trabten mit ihren Pferden an den schwerfälligeren ändern Tieren vorbei; manchmal gab es Stauungen, bockende Esel, scheuende Pferde, gebrochene Räder, lautes Schimpfen und Fluchen. Die Fußgänger, die sich fast lautlos zwischen all dem Getriebe bewegten, beachtete niemand. Wer war das schon, der so armselig daherkommen musste? Ein paar Bettler vielleicht oder andere Tagediebe, deren Vermögen so gering war, dass sie sich nicht einmal ein Maultier mieten konnten.
Nie hatte sich Muhammad vorgestellt, dass er eines Tages einen so jämmerlichen Einzug in jene Stadt halten würde, die seit seiner Kindheit die größte Rolle in seinen Wunschträumen gespielt hatte. Immer hatte er sich in Begleitung seines Vaters und mehrerer Diener hoch zu Roß über die Brücke reiten sehen. Durch Boten angemeldet war ihre Ankunft. Erwartet wurden sie am äußersten Tor, das die Brücke und somit die Stadt vor andringenden Feinden schützte, nun aber weit offen stand. Die Freunde des Vaters, die ihnen entgegengeritten waren, empfingen sie mit tausend Segenswünschen, und der eine oder andere von ihnen sagte: »Mit welch wohlgeratenem Sohn dich Allah gesegnet hat, Abu Hafs, und wie gut er zu Pferde sitzt!«
Und nun war da nichts von alledem. Schwül war der Tag gewesen, der Staub der Ebene hatte sich den Wanderern auf die Schuhe gelegt, ihre Hemden waren von Schweiß durchtränkt, ihre Stirnen glühten. Das Wasser der Feldbrunnen, mit dem sie versucht hatten, sich zu erfrischen, hatte schal geschmeckt, die Orangen, die sie von den Bäumen gepflückt hatten, bitter. Die Füße waren aufgerieben, die wunden Stellen schmerzten: Länger als eine Woche schon waren sie unterwegs.
Noch länger hätte es gedauert, wenn sie die bequemere Strecke genommen hätten, die um das Gebirge herumführte. Aber das hatte Muhammads Ungeduld nicht zugelassen.
Ein Glück, dass Welid stets fröhlich war, mit jedem Weggenossen ein Gespräch begann und, wenn die Gegend einsam wurde, zum besseren Vorwärtskommen seine Lieder sang, die er auf Jachjas Laute begleitete.
Nun also stand Muhammad auf der Brücke und sah über den Strom. Vor ihm lag die Stadt, die man das Mekka des Westens nannte: die Stadt mit ihren hunderttausend Häusern, ihren dreitausend Moscheen, ihren Tausenden von Palästen, ihren dreihundert Bädern. Von Terrasse zu Terrasse zogen sich die blendend weißen Mauern ihrer Gebäude hin, kletterten höher hinauf am Abhang des Berges, der ihr gegen die Nordwinde Schutz verlieh. Am rechten Ufer des Flusses reihte sich nach Osten und Westen Vorstadt an Vorstadt. Unter welchem ihrer Dächer würden sie Obdach nehmen?
Welid plauderte indessen mit einem Kameltreiber und ging langsam weiter, ohne zu merken, dass Muhammad ihm nicht folgte. Schon war er am anderen Ende der Brücke angelangt, als er zu seinem Schrecken sah, dass er den Freund im Gedränge verloren hatte. Er schob sich durch das Gewirr von Tieren und Menschen zurück bis zu jener Stelle, an der er ihn verlassen hatte. Richtig, da stand er immer noch. Blickte er ins Wasser?
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