Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
sich in diese Melodie aus Formen und Farben versenkt, doch den Freund hatte eine seltsame Unruhe erfasst, die sich schließlich auch auf ihn übertrug.
Selbst nach dem Gottesdienst war die Moschee keineswegs menschenleer. Hier und dort saßen Männer, denen der Tailasan des Gelehrten über die Schultern hing, mit dem Rücken an eine Säule gelehnt, und sprachen laut, aber ziemlich eintönig einen Text, den die im Kreis um sie sitzenden Schüler eifrig nachschrieben. Doch hörte keine dieser Gruppen die andere: So groß war die Moschee, dass die Zwischenräume den Hall der Stimmen verschluckten.
Muhammad und Welid gingen von Gruppe zu Gruppe, blieben aber überall nur kurze Zeit stehen, dann drängte Muhammad weiter. Schließlich ahnte Welid, was den Freund umtrieb. »Suchst du Jachja?« fragte er.
»Wen sonst?« gab Muhammad einsilbig zurück.
Da strengte auch Welid seine Augen an, um mit den Blicken den Raum zu durchdringen, was gar nicht so leicht war, denn so hell die Ampeln auch strahlten, so dunkel waren die Schatten, die die Säulen warfen. Die beiden wanderten suchend von einer Säulenreihe zur ändern, doch nirgendwo konnten sie diese buschigen Brauen, diese kantige Stirn, die scharf aus dem Gesicht springende Nase, den mit Henna rot gefärbten Bart erspähen, und auch die Stimme, an der sie ihren Lehrer sofort erkannt hätten, traf nicht ihr Ohr.
»Habt ihr etwas verloren, ihr Söhne des Zickzacks?« Ein Graubart, der die Burschen offenbar schon seit geraumer Zeit beobachtet hatte, vertrat ihnen den Weg.
»Wir sind fremd hier. Eben erst in Cordoba eingetroffen. Sehen uns ein wenig um.«
»Wollt ihr hier studieren? Braucht ihr eine Bleibe? Kommt mit.«
An der Westmauer der Moschee angebaut lagen die Wohnungen der Studenten. Dorthin führte sie der Aufseher. Man gab ihnen Öl, Brot und Datteln und wies ihnen, nachdem sie ihren Hunger gestillt hatten, eine Kammer an, in der sie ein Nachtlager fanden. Muhammad schlief tief und traumlos bis zum Morgengebet. Welid hingegen sah noch bei geschlossenen Lidern das Spiel der Lichter und Schatten, der Formen und Farben und er mühte sich im Traum vergeblich, die Säulen der Moschee zu zählen. Waren es achthundert, neunhundert oder gar tausend? Sie kamen auf ihn zu in geschlossenen Reihen, fächerten sich dann auseinander, immer wieder gab es Verwirrung, und schließlich sagte er zu sich selbst: »Warum zählst du? Kannst du die Wohltaten zählen, mit denen Allah die Menschenkinder überhäuft?«
Am nächsten Tag suchte sich Muhammad Lehrer. Er hörte nicht nur Fikh, die Rechtskunde, und Ilm, die Gottesgelehrtheit, sondern auch Algebra, die Abu Mußafir nach dem System des Chwarismi unterrichtete, und Sternenkunde, die Achmed ben Said seinen Schülern mithilfe eines selbstgebauten Astrolabiums beibrachte. Und den greisen Abu Bekr ibn al Kutijet, so genannt, weil seine Urgroßmutter eine gotische Königstochter gewesen war, hörte er Abhandlungen über Grammatik vortragen.
Auch Welid ließ sich einige Male zu Füßen dieser berühmten Scheichs nieder, aber sie konnten ihn nicht in ihrem Banne halten. Ihn zog das Leben und Treiben auf den Straßen an: die Märkte und Basare, die Handwerker mit ihren Arbeiten, die öffentlichen Gärten mit ihren springenden Brunnen. Auch kränkte es ihn, dass sein Milchbruder den Lehrern, deren Wissen er genoss, keine Geschenke machen konnte wie die wohlhabenderen seiner Kameraden. Er versuchte, wo immer sich ihm die Gelegenheit dazu bot, zu einem Bakschisch zu kommen: Sprang herzu, wenn es galt, einem großen Herrn den Steigbügel zu halten, einem Kaufmann Waren abladen zu helfen, einer Dame einen Seidenballen ins Haus zu tragen. Er wusste, wo es Maultiere oder Flötenbläserinnen zu mieten gab. Ja, auch Flötenbläserinnen. Denn jeglicher Musik, die an seine Ohren schlug, ging er nach, und bald hatte er herausgefunden, dass die meisten Kupfermünzen in seinen Beutel sprangen, wenn er seine Laute schlug und dazu sang. Er kannte ja Lieder in allen drei Sprachen: Von seinem Lehrer hatte er die arabischen, von seiner Mutter die berberischen und von den Fischern die romanischen gelernt, und sie gingen ihm alle gleich flüssig vom Munde. Wenn er am Abend sein Geld ausbreitete, steckte Muhammad es ein, ohne zu fragen, woher es kam. Dieses Zeichen von Vertrauen beglückte Welid sehr und stärkte die Verbundenheit, mit der sich die Milchbrüder zugetan waren, noch mehr. Welid selbst fragte auch niemals, für welche Zwecke Muhammad das
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