Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
doch wohl kein Mann mehr ein Kind zeugen - selbst der Kalif nicht! Weiß er denn, was für ein Schicksal seinen Sohn erwartet? Ob er jung stirbt oder alt wird, ob er gehorsam bleibt oder aufsässig wird, ob er den Thron erbt oder ob man ihm ihn streitig macht, ob er die Macht, wenn sie ihm verliehen wird, festhalten kann oder ob ein Stärkerer ihn überschattet, sodass er zu einem Schemen herabsinkt, der schließlich vom Thron gestoßen und geblendet wird. Und wie er sein Leben beschließt: Auf dem Schlachtfeld oder auf seidenem Kissen, vom Alter gefällt oder vom Gift eines Nebenbuhlers, der womöglich sein eigener Bruder ist - nichts, nichts von alledem, das nicht schon einmal dem Sohn eines Kalifen widerfahren wäre.
Glaubst du wirklich, unsere Mädchen sind schlechter dran als er? Die meisten kommen in ein reiches Haus, wo sie ein bequemes Leben führen und sich mit Klatsch und kleinen Ränkespielen über die Nichtigkeit ihres Daseins hinwegbringen. Aber ich kannte auch eine, die an einen Biedermann geriet, der ihr die Freiheit schenkte und sie ehelichte. Sie blieb seine einzige Frau und gebar ihm zwölf Kinder. Immer hatte sie eines an der Brust oder trug eins unter dem Herzen. Sie sang keine andern Lieder mehr als Wiegenlieder. An der letzten Geburt starb sie.
Und eine andere kannte ich, die ebenfalls geheiratet worden war, aber ihr Gatte, ein Höfling und Zechbruder des Statthalters, vernachlässigte sie so gröblich, dass sein Freund sich ihrer erbarmte und sie entführte. Sie nahmen auch ihren dreijährigen Knaben mit sich, und der Gatte setzte in seiner Wut und Eifersucht sein ganzes Vermögen daran, die beiden aufzufinden und vor den Richter zu bringen. Es dauerte zwölf Jahre, bis ihm das gelang. Sie erlitten den Tod gemeinsam, einer in den Armen des ändern - selbst die Henker hatten nicht das Herz, sie auseinanderzureißen. Aber als der Mann seine Bache gekühlt hatte und sich nach seinem Sohn umsah, war der verschwunden und hinterließ ihm ein Schreiben, in dem stand: »Suche nicht, mich zu zwingen, zu dir zu kommen. Ich würde mich eher töten, als mit dem Mörder meiner Eltern (ja, er schrieb Eltern) zusammenzuleben. Wenn ich nicht wüsste, dass du mein Erzeuger bist, würde ich dir Blutrache schwören. So aber kannst du von Glück sagen, dass ich Land und Meer zwischen uns bringe!«
Der Alte schwieg und saß da wie versteinert. Und Welid war es zumute, als schlüge ein Meer von Blut und Tränen über ihm zusammen. Das ist sein eigenes Schicksal, dachte er beklommen. Der Knabe, der den Brief schrieb, ist kein anderer als Talib, sein Sohn. Aber er brachte den Mut nicht auf, es auszusprechen oder ihn zu fragen: Wie bist du darüber hinweggekommen? Wer gab dir die Kraft, auf dein eigenes Leben zurückzublicken wie auf das eines Freundes aus alten Tagen?
So schwiegen sie beide und ließen ihre Gedanken ins Raumlose wandern.
Schließlich aber, als hörte er ein leises Anklopfen an einer verschlossenen Tür, sagte Abu Talib wie zur Abwehr: »Niemand ist verantwortlich! Nicht für das eigene Schicksal und nicht für ein fremdes. Jedes Menschen Los wird von Allah bestimmt. Er ist der Allgewaltige, der die Würfel über uns schon von Uranfang an geworfen hat, und alles vollzieht sich, wie er es bestimmt. Wir aber können nichts anderes tun, als uns fallen und uns von seiner Barmherzigkeit auffangen lassen.«
Nein, wollte Welid ihm entgegenhalten, du vergisst den neunundsiebzigsten Vers der zweiten Sure! Dort steht geschrieben: »Allah ist nicht achtlos eures Tuns!« Als er aber dem Alten ins Gesicht sah, das zerknittert war wie verdorbenes Pergament, und in die Augen, deren Blicke wie durch Nebelschleier gingen, konnte er diese bedrohlichen Worte nicht aussprechen. Warum den Vulkan eines Herzens in Aufruhr bringen, das sich unter Schmerz und Qualen verkrustet hat? Er war froh, dass Abu Talib weitersprach:
»Und dir, mein Lieber, geht auch nicht das Schicksal dieser Mädchen nah, sondern dein eigenes. Du selbst hast dich in Merwe verliebt und kannst es dir nicht verzeihen, dass nicht du es warst, der ihren Wert erkannte. Aber tröste dich: Du bist billig davongekommen. Sie ist mit allen Wassern gewaschen. Nun soll Ibn Abi Amir sehen, wie er mit ihr fertig wird.«
Ibn as-Salim stellte seinem Sekretär ein Haus zur Verfügung. Es war nicht groß, aber schön gelegen, in halber Höhe des Hügels, an dem sich die Stadt emporzog. Vom Dachgarten konnte mein über die Häuser und den Fluss hinweg bis zur
Weitere Kostenlose Bücher