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Zu Staub Und Asche

Zu Staub Und Asche

Titel: Zu Staub Und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Edwards
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war es ihm nicht gelungen, sie zu durchschauen. Manchmal verhielt sie sich äußerst distanziert und dann wiederum so vertraulich, als wäre sie drauf und dran, ihm ein Geheimnis zu verraten. Jedes Mal, wenn er versuchte, mehr über sie herauszufinden, ließ sie die Rollläden herunter, doch gerade diese schwer fassbaren Gegensätze machten einen großen Teil ihres Reizes aus. Wie tickte diese junge Frau? Was erregte sie? Vor langer Zeit hatte er sich bei Hannah dasselbe gefragt. Cassie war eine neue Herausforderung, ein Rätsel, das zu lösen er sich sehnte.
    Mehr als einmal hatte er sich nach Geschäftsschluss, wenn alle Angestellten nach Hause gegangen waren, Cassies Akte aus dem Schrank geholt und wie ein Detektiv auf der Suche nach Hinweisen ihren Lebenslauf durchforstet. Doch er hatte kaum etwas gefunden. Sie stammte aus Carlisle. Nachdem sie ein Jahr lang englische Literaturwissenschaft studiert hatte, gab sie die Universität zugunsten des wirklichen Lebens auf. Jahrelang trieb sie von einem Job zum anderen, arbeitete hier als Schreibkraft, kellnerte dort. In ihrer Bewerbung hatte sie erwähnt, dass sie in ihrer Freizeit Kurzgeschichten schrieb, als er sie jedoch irgendwann danach fragte, schüttelte sie verlegen den Kopf und wechselte das Thema.
    »Ich bin ein Bücherwurm«, erklärte er. »Das gefährliche Leben liegt mir nicht.«
    »Das können Sie nicht wissen, wenn Sie es nie probieren.«
    »Ein Ort wie dieser hier kann für eine junge Frau wie Sie doch nicht viel Aufregendes bieten.«
    »Das habe ich nicht gemeint«, erwiderte sie sanft. »Mir gefällt es hier. Ich finde es faszinierend, von Ihnen zu ... lernen.«
    Er hatte versucht, ihr zu erklären, wie sehr ihm dieses Leben im Umfeld Tausender von Secondhandbüchern gefiel. Jedes einzelne von ihnen hatte eine Geschichte zu erzählen, und zwar nicht nur mit den Worten, die auf den Seiten standen. Jeder Band auf diesen Regalen hatte eine eigene Vergangenheit, die manchmal durch eine handschriftliche Widmung enthüllt wurde. »Für Daisy. Frohe Weihnachten. 25. Dezember 1937.«
    »Hubert Withers dafür, dass er ein Jahr lang ohne Fehlzeiten die Sonntagsschule in Cark besucht hat.« In vielen Fällen wusste man auch nicht, woher die Bücher stammten, und man musste Detektiv spielen, um herauszufinden, wie ein seltenes, während der Regierungszeit Königin Viktorias in Gibraltar gedrucktes Buch hundertzwanzig Jahre später in einen Trödelladen in Gateshead gekommen war.
    Marc genoss es, Cassie zu zeigen, worauf es beim An-und Verkauf seltener Bücher ankam, und fühlte sich geschmeichelt von ihrer Art, an seinen Lippen zu hängen, wenn er ihr die Tricks des Handelns nahebrachte. Wie man Bücher fand, die nicht das waren, wofür man sie hielt - wie die vermeintlichen signierten Erstausgaben von Der Mann mit dem Goldenen Colt und Octopussy, die beide in Wirklichkeit erst einige Zeit nach Ian Flemings Tod verlegt wurden. Der Wert von Büchern fiel und stieg wie Aktien an der Börse.
    Die Preise hatten nur wenig mit der literarischen Leistung und schon gar nichts mit einer Anerkennung der Neuerscheinung durch Kritiker zu tun. Winnie the Pooh war in diesem Jahr kaum etwas wert, im Gegensatz zu ein paar Krimis von Miles Burton in Originaleinbänden, die reiche Sammler vor Begierde erzittern ließen.
    »Ich hoffe, ich langweile Sie nicht«, sagte Marc.
    »Sie langweilen mich kein bisschen.« Sie betrachtete ihn. »Aber hat Ihnen schon einmal jemand zu sagen gewagt, dass Ihnen Bücher wichtiger sind als Menschen?«
    Bei jedem anderen hätte Marc die Frage als beleidigend empfunden. Er überlegte, ob Cassie auf Hannah anspielte, lehnte sich an seinen Schreibtisch und schnupperte an seinem Kaffee. Starker Arabica, mit Kardamom gewürzt und noch immer zu heiß zum Trinken.
    »Das hängt von den jeweiligen Menschen ab.«
    Sie zeigte auf den Berg Papier, Ordner und Ringbücher. »Auf jeden Fall sind Sie kein überzeugter Geschäftsmann.«
    »Dass ich den Laden hier führe und mich um Finanzen und Personal kümmern muss, ist der Preis dafür, dass ich mein eigener Herr sein darf.« Sie versuchte, etwas über ihn herauszufinden - sie war also interessiert. »Aber es gibt andere Dinge, die mir sehr viel unangenehmer sind.«
    In ihren Augen glomm ein Funke auf. »Zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel das Finanzamt«, sagte er leichthin.
    Sie runzelte die Stirn, als hätte die Antwort sie ernüchtert. »Entschuldigen Sie. Ich wollte Sie keinesfalls stören.«
    Als sie ging,

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