Zu Staub Und Asche
verspürte Marc eine gewisse Enttäuschung.
»Sie dürfen jederzeit wiederkommen«, rief er hinter ihr her.
Als Marc den leeren Becher nach unten in die Cafeteria zurückbrachte, stand Cassie hinter der Theke und telefonierte mit einem Kunden. Es ging um die mühsame und langwierige Suche nach einem Buch, an dessen Titel und Autor sich der Anrufer nicht mehr erinnerte. Eine Art von Amnesie, die leider sehr häufig vorkam. Cassie würdigte Marc keines Blickes.
In dem zwischen dem Antiquariat und dem Café gelegenen Kamin im Erdgeschoss brannte ein Feuer. Der Wind heulte im Kamin, und durch die Ritzen in der Fensterisolierung zog es, doch das knisternde Feuer hielt den Winter in Schach. Marc wärmte sich die Hände, bevor er sich ein großes Stück Schokoladenkuchen nahm. Zur Buße dafür opferte er zwei Minuten, um mit Mrs Beveridge herumzuschäkern, die die Leitung des Cafés von Leigh Moffat übernommen hatte. Ein Teil des von Tante Imelda geerbten Geldes hatte Marc in die Lage versetzt, ein Ladenlokal in Sedbergh anzumieten, das inzwischen als »Bücherstadt« vermarktet wurde. Im Augenblick bestand der Laden lediglich aus ein paar an Leighs Café angegliederten Regalen. Marc vermisste Leigh und fragte sich, ob es ihr wohl ebenso ging.
Mrs Beveridge war zwar tüchtig, aber auch ziemlich geschwätzig, und Marc fand ihre Scherze längst langweilig. Die stets heitere und recht korpulente Dame roch meistens nach Bananenkuchen und drängte Marc hin und wieder, sein Verhältnis zu Hannah doch endlich zu legalisieren. Einmal war er ihr vor lauter Frust mit dem abgenudelten Witz gekommen, was man einer Frau zu essen geben müsse, um ihr den Appetit auf Sex ein für alle Mal zu verleiden. Als er ihr schließlich erklärte, die Antwort laute Hochzeitskuchen, hatte sie so bestürzt aufgestöhnt, dass die Bodendielen krachten. Sie bestand darauf, dass die Ehe viel besser sei als eine Partnerschaft, obwohl Marc felsenfest davon überzeugt war, dass Mrs Beveridges Rezept für eine gute Ehe hauptsächlich darin bestand, ihren Ehemann nach allen Regeln der Kunst zu gängeln. Mr Beveridge war Chauffeur im Ruhestand (»Er bringt mich noch immer dazu, mich zu echauffieren!«), der den lieben, langen Tag in seinem Schrebergarten in Kendal herumwerkelte, wahrscheinlich, um dem gnadenlosen Geschwafel seiner Frau zu entkommen.
Das Küchenpersonal war früh nach Hause gegangen, ehe das Wetter noch schlechter wurde; im Laden befand sich kein einziger Kunde mehr. Die Mühle war eines von sechs Häusern, die sich um einen Innenhof gruppierten; in den anderen Gebäuden befanden sich Ateliers für Kunsthandwerk. Normalerweise pendelten die Besucher von einem Geschäft zum nächsten - an diesem Tag jedoch nicht.
Marc floh vor Mrs Beveridge in die Abteilung für Detektivgeschichten und pustete Staub von einigen Raubdrucken ohne Einband - Kunstwerke, die von längst vergessenen Fachleuten namens Bellairs, Morland und Straker produziert worden waren, und Titel, die so schwer loszuwerden waren wie alte Verwandte, die ihre Besuchszeit längst überzogen haben. Es wurde immer schwieriger, Bücher zu verkaufen, die nicht irgendwie außergewöhnlich waren. Marc schob diese Entwicklung auf das Internet, wie fast alle Buchhändler den Niedergang ihrer Branche auf das Internet schoben. Ein Agatha-Christie-Nachdruck aus den Sechzigern? Oder eine Ruth Rendell aus den Achtzigern? Nein danke. Die bekommt man schließlich online für kleines Geld.
Raritäten. Marc musste Ausschau nach Raritäten halten, wenn sein Laden überleben sollte. Hannah brauchte ihn nicht ständig daran zu erinnern, dass er nicht für immer von seinem Erbe zehren konnte. Marc verfügte über einige Scouts, Leute, die wussten, wie man seltene Bücher erkennt, und die bereit waren, für einen schnellen Profit die Preise drastisch zu senken. Wohltätigkeitsbasare und Trödelmärkte waren Zeitverschwendung, aber er ging häufig auf Buchmessen, obwohl man die besten Käufe am frühen Morgen bei Kollegen tätigte, ehe die Türen für das Publikum geöffnet wurden. Selbst die Kunden waren heutzutage gerissener als noch vor zehn Jahren. Vergleiche im Internet und Online-Auktionen ließen inzwischen jeden zum Experten werden.
Die Türglocke schrillte. Überrascht blickte er über seine Schulter.
Eine Frau in einem Kapuzenmantel betrat das Geschäft. Sie ließ eine mit Reißverschluss geschlossene Einkaufstasche auf den Boden fallen, schob die Kapuze zurück und bedachte Marc mit einem
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