Zu Staub Und Asche
und das Glück beim Schopf packen.
Als sie ihm die Kontrolle überließ, spürte sie, wie ihr Körper reagierte. Vergiss alles andere, lebe nur in diesem Moment. Seine Berührungen waren liebevoll, sein Atem warm. Hannah verbannte die Erinnerung an das verschwollene Gesicht der ertrunkenen Bethany. Anschließend versank sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Marc war schon auf den Beinen, als Hannah vom Schrillen des Weckers aufwachte. Sie gähnte und hatte nicht die geringste Lust, sich aus den warmen Kissen zu wühlen und zur Arbeit zu gehen. Doch sobald die Entscheidung zwischen einem Tag im Bett und ihrer Pflicht anstand, gewann die Arbeitsethik sofort die Oberhand. Eigentlich schade.
Bei Cornflakes und Kaffee erwähnte Hannah Bethany ebenfalls nicht. Marc telefonierte mit einem Kunden aus Dänemark und verschwand dann in seinem Arbeitszimmer. Er trug Boxershorts, und sein Körper wirkte so trainiert wie am ersten Tag. Wie schaffte er es bloß, sich derart in Form zu halten, obwohl er nur selten ins Fitnessstudio ging und die meiste Zeit mit Lesen verbrachte?
Hannah schaltete das Radio ein. Die Moderatoren der Morgensendung, Nerys und Erik, waren gerade dabei, Arlo Denstone über das De-Quincey-Festival zu interviewen.
»... der bekannte Historiker Daniel Kind wird uns in das Werk Thomas de Quinceys einführen ...«
»Bekenntnisse eines englischen Opiumessers«, warf Nerys ein, wohl um zu beweisen, dass sie nicht nur über eine hübsche Stimme verfügte.
»Genau. De Quincey war einer der faszinierendsten Engländer des neunzehnten Jahrhunderts. Er war hochgebildet, gab aber zu, unter einer »chronischen Leidenschaft für Angstattacken« und »dauernder Verzweiflung« zu leiden. Es waren diese Charakteristika, die ...«
Marc tauchte an der Küchentür auf. »Hast du meinen schwarzen Pulli gesehen?«
Hannah machte das Radio leiser. »Ich habe ihn am Wochenende gewaschen. Schau mal in deinen Schrank.«
»Er war nicht an seinem Platz.«
»Schau noch mal nach!«
»Du hättest es mir auch sagen können.«
Er seufzte theatralisch und ließ die Tür unsanft ins Schloss fallen, als er die Küche verließ. Sah so das unausweichliche Schicksal aller Langzeitbeziehungen aus? Mussten die frühen Tage von Erregung und Leidenschaft langsam, aber sicher in Zankereien um schmutzige Wäsche oder das Ausräumen der Spülmaschine versanden? Nicht nur Thomas de Quincey litt unter andauernder Verzweiflung. Aber vielleicht sollte Hannah dankbar sein, dass zumindest im Bett der Zauber noch wirkte. Manchmal zumindest.
Als sie das Radio wieder lauter drehte, ging es nicht mehr um Daniel Kind und Thomas de Quincey. Hannah trank den letzten Schluck Kaffee und glitt vom Küchenhocker. Es war Zeit, dem Tag die Stirn zu bieten.
Nach dem morgendlichen Briefing kehrte Hannah in ihr Büro zurück und schloss die Tür. Greg Wharf war sichtlich dabei, den letzten Rest Geduld mit den Knotenspezialisten zu verlieren. Wie alle Experten in der ganzen Welt kochten sie lieber ihr eigenes Süppchen. Keiner war bereit, auf das Problem einzugehen und definitiv auszuschließen, dass Bethany sich selbst gefesselt hatte, bevor sie sich in den Schlangenweiher legte und dem Schicksal seinen Lauf ließ. Hannah vermutete, dass zum Teil auch Gregs Pessimismus die Experten daran hinderte, sich aus der Reserve locken zu lassen. Natürlich fürchteten sie, sie könnten das Gesicht verlieren, falls neues Beweismaterial schließlich doch noch beweisen sollte, dass Bethany den Freitod gewählt hatte.
Hannah sortierte Rundschreiben und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Ben Kind hatte sich nie gescheut, Risiken auf sich zu nehmen, wenn die Umstände es erforderten. Irgendwann hatte er ihr erzählt, dass es nur zwei Arten von leitenden Polizeibeamten gäbe: diejenigen, deren Schreibtisch aufgeräumt war, und diejenigen, deren Schreibtisch aussah, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Ben tolerierte keine Unordnung. Sobald sich sein Papierkram zu türmen begann, landete er im Papierkorb. Ben war ein bulliger Mann gewesen, doch sowohl in seinen körperlichen Bewegungen als auch in der Art, wie er seine Abteilung führte, erstaunlich akkurat. Hannahs Hang, alte Memos zu horten, war ihm immer suspekt gewesen, zumal Hannah selbst sich diese Manie nicht erklären konnte. Vielleicht brauchte sie den vertrauten Anblick? Für sie war ein aufgeräumter Schreibtisch so etwas wie eine Kriminalitätsrate gleich null. Erstrebenswert, weiter nichts. In dieser Hinsicht
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