Zu Staub Und Asche
Ihnen informiert.«
»Doppelter Einsatz? Ich muss schon sagen - Sie nutzen Ihre Ressourcen nicht gerade sinnvoll, Chief Inspector.«
Hannah gab der Versuchung nach. »Sie müssen doch zugeben, dass es ein merkwürdiger Zufall ist. Zwei Menschen werden unter mysteriösen Umständen und offenbar ohne erkennbaren Grund ermordet. Zwei Menschen, die Sie gekannt haben.«
Wanda errötete, und Hannah hätte am liebsten jubiliert. Endlich hatte sie einen Treffer gelandet! »Sie wollen doch nicht etwa auf einen Zusammenhang zwischen den Todesfällen von George und Bethany hinaus?«
»Glauben Sie denn, dass es einen Zusammenhang gibt?«
»Das ist doch absurd. Natürlich kannte ich beide, aber das will doch nichts heißen! Ebenso gut könnten Sie ...«
»Was denn?«
Mit dieser Frage war Hannah zu weit gegangen, bemerkte es jedoch nicht sofort.
Wandas Gesichtsausdruck spiegelte plötzlich eine Mischung aus Verachtung und wildem Triumph wider. »Sie könnten zum Beispiel jemanden fragen, der Ihnen sehr viel nähersteht. Immerhin hat George ein kleines Vermögen bei Amos Books gelassen, wo Bethany wiederum vor ihrer Zeit an der Universität gejobbt hat. Und sie war total verknallt in Marc. Ich habe nie gefragt, ob die beiden miteinander geschlafen haben, weil ich mich - wie schon gesagt - nicht in das Leben anderer Leute einmische. Aber wahrscheinlich hat
Marc Ihnen die ganze Geschichte haarklein erzählt, Chief Inspector Scarlett. Oder etwa nicht?«
***
Zwar hatte Hannah noch nie einen Tritt in den Magen bekommen, aber so ähnlich musste es sich anfühlen. Und wenn man eins mit dem Knüppel über den Schädel bekam, fühlte man sich wenigstens nicht so schrecklich betrogen - betrogen von einem Menschen, dem man vertraut hatte und der einem angeblich nie wehtun wollte.
Im Verlauf eines Jahres arbeiteten bis zu zwölf Aushilfskräfte im Antiquariat, um Zeiten mit hohem Arbeitsaufkommen und Urlaubsabwesenheiten abzufangen. Im Lake District gab es mehr als genug junge Leute auf der Durchreise, Studenten im Sabbatjahr, Migranten und ähnliche Leute, die nur zeitweise jobbten und danach weiterzogen. Niemand konnte erwarten, dass Marc sich an jede einzelne Aushilfe erinnerte. Aber an Bethany Friend hatte er sich erinnert. Niemand würde ein Mädchen vergessen, das unter derart geheimnisvollen Umständen ums Leben kam und dessen Geschichte wochenlang die Lokalpresse beherrscht hatte - erst recht nicht, wenn dieses Mädchen mal in einen verliebt gewesen war.
Hannah fand sich auf dem Pfad wieder, der dem Lauf des Stock Ghyll folgte. Der Bach war durch die Regenfälle der vergangenen Tage stark angeschwollen und tobte auf seinem Weg nach Ambleside brausend durch enge, felsige Passagen. Als der Weg sich teilte, ging Hannah nach rechts weiter und erklomm mit Eichen bewachsene Felsstufen, bis sie einen Zaun mit einem eisernen Drehkreuz erreichte. Dahinter lag ein geschützter Aussichtspunkt mit Blick auf den Wasserlauf, doch sie ging weiter, bis sie die kleine Brücke auf der Höhe erreichte. Die Wege waren verschlammt, und ihre Schuhe würden den Ausflug kaum überleben, doch das war ihr gleich. Schließlich blieb sie stehen, schloss die Augen und lauschte dem Getöse des Wassers.
Sie stand am Stock Ghyll Force. Der Wasserfall wirbelte ganze Wolken von Gischt auf. Hannah spürte einen feinen Sprühfilm auf der Haut. Ein Felsenriff ragte aus dem Schaum heraus; es zerteilte den Wasserfall wie eine Rückenflosse, bevor das Wasser noch im Absturz wieder zusammenfand und sich zu einem schäumenden Sturzbach vereinigte. Schloss man die Augen, hätte man meinen können, ein Damm sei gebrochen.
Oder das Tor zur Hölle habe sich geöffnet.
Während der ursprünglichen Ermittlungen nach Bethany Friends Tod hatte ein Mitglied von Bens Team einen groben Lebenslauf der jungen Frau erstellt, in dem auch ihre Arbeitsstellen aufgelistet waren. Bethany hatte so häufig gewechselt, dass die Liste beim besten Willen nicht vollständig sein konnte. Daher war es kein Wunder, wenn ein befristeter Job bei Amos Books unerwähnt blieb. Möglicherweise hatte er nur ein paar Wochenenden umfasst, und ihr Lohn wurde ihr bar in die Hand ausgezahlt, während sie von Montag bis Freitag irgendwo anders arbeitete und vielleicht abends noch zusätzlich kellnerte.
Trotzdem hätte Marc ihr reinen Wein einschenken müssen. Wanda Saffell hatte angedeutet, dass er und Bethany möglicherweise ein Paar waren. Natürlich wollte sie Hannah bloß verunsichern, doch das
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