Zu viele Flueche
jemals zu ihrem Volk zurückkehren.
Das Zimmer war zwar warm, aber nicht unangenehm warm. Mit dem absoluten Vertrauen, dass ihre Instinkte sie zurückgehalten hätten, wenn sich ein bodenloser Abgrund vor ihr befände, machte sie einen Schritt nach vorn.
Dann sprach sie sehr leise: »Hallo?«
Es kam keine Antwort.
Sie machte noch einen Schritt und rief ein wenig lauter: »Hallo. Ist hier jemand?« Eine ganz und gar dumme Frage. Natürlich war hier jemand. Oder etwas.
»Hallo!« Ihre Stimme wurde als Echo zurückgeworfen.
Und dann erschien, entweder weit entfernt oder sehr nahe, ein stecknadelkopfgroßer rotgelber Lichtpunkt. Eine tiefe, dröhnende Stimme erfüllte den Raum und klingelte in ihren Ohren.
»Du bist nicht Margle!«
»Margle ist tot.« Sie biss sich auf die Zunge. Vielleicht war es nicht sehr weise gewesen, das herausschlüpfen zu lassen. Aber sie war eine furchtbar schlechte Lügnerin. Sie würde nachdenken müssen, bevor sie sprach. Immer eine gute Taktik, wenn man es mit Dämonen zu tun hatte.
Das Licht loderte auf, bot aber immer noch wenig Erleuchtung. Sie fragte sich, ob es ein Auge war. Ein einzelnes, finster blickendes Auge in einem hässlichen Gesicht, dessen bloßer Anblick sie in den Wahnsinn treiben konnte.
»Tot, sagst du!«
»Ja.« Jetzt nützte es auch nichts mehr zu lügen. Die Stimme des Dämons klang jetzt nur noch unausstehlich laut. »Wie ist er gestorben? Nein, lass mich raten.« Das leuchtende Auge wechselte blitzend die Farbe im ganzen Spektrum. »Gefressen, nicht wahr? Gefressen von einem Nurgax. Hab ich recht?«
Sie nickte, und selbst in der verzehrenden Dunkelheit konnte es der Dämon sehen.
»Woher…«
»Woher ich das weiß?« Die Stimme wurde sanft, freundlich und feminin. »Ich weiß sehr viele Dinge, Nessy. Sehr, sehr viele Dinge.«
Nessy war nicht überrascht, dass die Dämonin ihren Namen kannte. Das schien ihr eine besonders dämonische Kenntnis zu sein.
»Dann musst du auch wissen, warum ich hier bin.«
Die Dämonin lachte leicht. »O nein, Liebes. Wenn jemand kommt, um mich um Hilfe zu bitten, weiß ich nur, was er braucht, wenn er mich darum bittet. Seltsam, ja, aber so sind nun mal die Regeln. Und wir müssen alle nach den Regeln spielen.«
Das Licht kam näher, schien heller. Dennoch konnte Nessy keine weiteren Einzelheiten der Kreatur erkennen.
»Du trägst meinen Zahn. Hast du Angst vor mir, Nessy?«
Sie dachte nach, bevor sie antwortete, aber eine Lüge war überflüssig. Die Dämonin kannte die Antwort sicherlich. »Ja.«
Die Dämonin kicherte mit einem Anflug von süßlicher Gehässigkeit. »Sehr weise. Und ich sehe, dass du von einer bemerkenswerten Weisheit besessen bist, zusammen mit einer großzügigen Portion Mitgefühl, gewürzt mit einem kräftigen Schlag Pragmatismus. Eine seltene Delikatesse. Deine Seele auszumessen lässt mich einen Appetit wiederentdecken, den ich - in diesen Raum gesperrt - schon lange vergessen hatte.« Sie sog hörbar die Luft ein und leckte sich die Lippen. »Oh, was für ein Leckerbissen du bist. Ich könnte dich in meinen Mund stecken, in die Wange schieben und dich ungefähr tausend Jahre lang genießen.«
Ihre Stimme verhallte verträumt.
»Leider hast du meinen Zahn. Und meine Kiefer sind auch nicht mehr, was sie einmal waren.« Das Auge stieg hoch in die Luft und senkte sich dann tief herab, um sich auf Nessys Nase niederzulassen. Die Dämonin war nichts weiter als ein winziges, leuchtendes Glühwürmchen. Das Insekt wirkte unscheinbar, außer dass sein Schwanz eine schimmernde Feuerzunge war. Der Flammenschweif war zwar heiß, verbrannte sie aber nicht.
Der Atem der Dämonin schien warm und süß und spülte über Nessy hinweg, als gehörte er zu einer wesentlich größeren Kreatur. Die Süße war der Gestank verfaulenden Fleisches.
»Du hast keine Ahnung, was für ein Vergnügen dies für mich ist. Viel zu lange musste ich diesen lächerlichen Zauberer ertragen. Und seine Seele - als Kennerin kann ich dir sagen: Sie ist kein schöner Anblick. Ebenso hässlich und verachtenswert wie alle anderen, die mir je begegnet sind. Vergeudeter, elender Tand, nichts als das ist sie.«
»Sie ist?«
Das Glühwürmchen flitzte auf Nessys Kopf. »Ich glaube, wir wissen beide, dass er nicht tot ist. Nicht richtig. So liederlich und widerwärtig er auch sein mag, aber Margle ist ein grandioser Zauberer. Ich allein bin der Beweis für seine Macht. Weißt du, wie lange ich schon an dieses Zimmer gebunden bin, wie
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