Zu zweit tut das Herz nur halb so weh
Sonntagszeitung,
doch kaum hatte ich es ausgesprochen, fand ich es albern und wurde rot. Roberts
belustigter Blick sagte mir, dass er die Bedeutung des Wortes kannte oder aus
dem Zusammenhang erschloss und dass er es übertrieben dramatisch fand. Trotzdem
widersprach er nicht.
In jenem Frühjahr verfolgte ich genau, wann Robert das Haus betrat
oder verlieÃ. Schon bald wurde mir klar, dass mein Interesse an ihm sich in
etwas verwandelte, das ich nicht ganz verstand. Ich ertappte mich dabei, wie
ich mich vor dem Spiegel herausputzte, wenn ich glaubte, ich könnte ihm
begegnen, und rügte mich anschlieÃend dafür. Warum machte ich mich für einen
farbigen Jungen zurecht?
Einerseits war es mir peinlich, andererseits hatte ich Angst.
Wenn meine Mutter erfuhr, dass Robert mich in jener Nacht nach Hause
begleitet hatte, oder mich dabei erwischte, wie ich mir die Haare zurechtzupfte
oder in die Wangen kniff, damit sie sich röteten, sobald er sich dem Haus
näherte, würde sie auÃer sich geraten. Eines Nachmittags hatte ich sie von der
Küche aus mit einer Nachbarin über das Schild mit der Warnung an die Schwarzen
reden hören.
»Was wäre so schlimm daran, das Schild wegzunehmen, Margie?«, fragte
die Nachbarin. »Für fast jeden von uns hat schon mal ein Farbiger gearbeitet.
Es wäre doch viel einfacher für alle, wenn sie nicht vor Sonnenuntergang nach
Hause müssten.«
»Aber Harriet«, erwiderte meine Mutter mit einem Schaudern in der
Stimme. »Stell dir vor, wie es in dieser Stadt zugehen würde, wenn Farbige sich
nach Einbruch der Dunkelheit hier herumtreiben oder â Gott bewahre â sogar hier
wohnen dürften. Es würde nicht lange dauern, bis unsere Kinder zusammen
spielten und ihre Jungen sich an unsere Mädchen ranmachten. Am Ende würden sie
noch unsere Schule besuchen wollen.«
In diesem Moment kehrte Nell mit einem schweren Tablett, auf dem ein
Kristallkrug und Gläser mit Eis standen, in die Küche zurück. Mein Bruder
Patrick hatte sie auf dem Flur angerempelt, sodass das Tablett gefährlich ins
Schwanken geraten und der Eistee übergeschwappt war. Er hatte das Tablett
wieder ins Gleichgewicht gebracht, seine Hand auf ihren Busen gelegt und ihr
dabei in die Augen gestarrt. Sie war zusammengezuckt, ohne einen Ton von sich
zu geben.
»Nell, bist du das?«, rief meine Mutter. »Wir hätten jetzt gern den
Tee.«
»Ja, Maâam«, antwortete Nell. »Bin schon unterwegs, Maâam.« Mit
gesenktem Blick drückte sie sich an Patrick vorbei, der mich inzwischen
entdeckt hatte und unverschämt angrinste. Mir wurde schlecht. Mutter fürchtete,
dass die jungen Schwarzen uns belästigten? Wahrscheinlich hätte sie Nell
beschuldigt, Patrick schöne Augen gemacht zu haben. Nells Schrecken und
Resignation wären ihr bestimmt entgangen.
Früher hätte mein Vater ihn gerügt, doch jetzt, da meine Brüder
angeblich erwachsen waren, schien er seine Versuche, sie zu beeinflussen,
aufgegeben zu haben. Soweit ich zurückdenken konnte, hatten sich Jack und
Patrick an den anderen Jungen und Männern des Orts orientiert und nicht an
Daddy. Mutters Zurückhaltung hatte da nicht geholfen. Ich hingegen hatte seit
frühester Kindheit dem Vorbild meines Vaters nachgeeifert, der unsere Haushaltshilfe
und alle Farbigen, mit denen er zu tun hatte, achtete.
Patrick kam auf mich zu und schlug mir als Warnung, den Mund zu
halten, auf den Hinterkopf. Aber in diesem Augenblick verwandelte sich mein
Interesse an Robert in etwas anderes, etwas, das vielleicht sogar meinen Vater
fassungslos und Mutter glauben gemacht hätte, ich wäre von einem bösen Geist
besessen.
Ich bekam eine Gänsehaut, als mir klar wurde, dass meine Gefühle für
Robert nicht gänzlich platonischer Natur waren.
Eines Nachmittags saà ich, gegen einen Baum gelehnt, im Garten
und las, als Robert die Auffahrt heraufschlenderte. Er winkte mir kurz zu, ging
aber sofort ins Haus. Wenig später trat er wieder heraus und schlenderte zur
Garage, wo der geliebte Buick meines Vaters aus dem Jahr 1936 stand. Robert
setzte mit dem purpurroten Wagen zurück auf die Auffahrt, wo er den Motor
ausschaltete, und holte aus der Garage einen Eimer und Putzlumpen.
Mein Vater liebte sein Auto, pflegte es sorgfältig und hielt Jack
und Patrick davon fern, weil er fürchtete, dass sie den Lack beschädigten.
Shalerville war
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