Zu zweit tut das Herz nur halb so weh
Miss Isabelle flutscht so
richtig von der Zunge. Eins hat meine Momma mir beigebracht, nämlich dass man
vor älteren Leuten Respekt haben muss.« Ich wartete auf ihre Reaktion, und sie
enttäuschte mich nicht: Sie schlug mit dem Rätselheftchen nach mir, und ich
tat, als würde ich mich ducken â was beim Fahren gar nicht so leicht war. »Im
Ernst, ich nenn alle meine alten Damen Miss Wie-auch-immer. Bilden Sie sich ja
nichts ein.«
Miss Isabelle verdrehte die Augen.
»Lenken Sie nicht vom Thema ab. Wir waren gerade bei Ihrer Mutter.«
»Das ist auch eine lange Geschichte.«
»Es ist noch ein langer Weg bis nach Cincinnati.«
»Ich glaube â¦Â« Miss Isabelle sah aus dem Fenster. Kurz vor der
Grenze zu Arkansas begann es zu nieseln, und die hohen Kiefern zu beiden Seiten
der StraÃe verschwammen zu braunen Schlieren wie bei einem Gemälde von diesem
Monet. In der Ferne erklang Donnergrollen. »Ich glaube, meine Mutter hatte
Angst.«
FÃNF
ISABELLE , 1939
Nachdem wir uns an dem Schild von Shalerville vorbeigestohlen
hatten, begleitete Robert mich â die wenigen Male, die wir jemandem begegneten,
duckte er sich in die Schatten â bis zu meiner StraÃe. Von dort aus blickte er
mir nach, bis ich unser Haus erreichte. Auf den Stufen sah ich, wie er aus dem
Schutz einer riesigen Eiche schlüpfte, hinter der er sich versteckt hatte.
Ich betete zu einem Gott, der sowohl WeiÃe als auch Schwarze
beschützte, dass er ebenfalls heil nach Hause kommen würde, und wartete neben
der Veranda, bis ein Automobil vorbeiknatterte, bevor ich durch die Haustür
trat und rief, dass ich zurück sei. Zum Glück kam Mutter mir nicht Gute Nacht
sagen oder fragte mich über Earlines Fest aus.
Beim Einschlafen wurde mir klar, dass ich mich in vielem getäuscht
hatte â nicht zuletzt in meiner Fähigkeit, mich in der Welt der Erwachsenen
zurechtzufinden. Und auch mein Eindruck, dass Robert keine Rolle in meinem
Leben spielte, war falsch gewesen.
Ich war dankbar für sein Eingreifen. Und obwohl es verrückt klingen
mag, drängte sich mir der Gedanke auf, dass es mehr als bloÃer Zufall gewesen
war. Bestimmt hatte das Schicksal seine Hand im Spiel gehabt.
Meine Gebete hatten wohl den richtigen Gott erreicht, denn Robert
tauchte in der folgenden Woche heil bei uns auf, am Kinn war kaum etwas zu
sehen von Louies Faustschlag. Ich hielt mich in der Küche auf, in die meine
Mutter mich geschickt hatte, um nach dem Mittagessen zu sehen, als ein Klopfen
mich zusammenzucken lieÃ. Ich drehte mich um. Vor dem Fenster stand Robert. Ich
wurde rot und zog den Kopf ein, als Cora zur hinteren Tür eilte.
»Moment bitte, Miss Isabelle, ich lass nur schnell meinen Sohn rein.
Sagen Sie Ihrer Momma, dass das Mittagessen um Punkt zwölf auf den Tisch kommt,
wie ich es ihr heute Morgen gesagt habe.« Sie blinzelte mir zu. Wir waren uns
darüber einig, dass meine Mutter sehr pedantisch war, und Cora vertraute mir,
dass ich ihr nichts von ihrer Spöttelei erzählte. Als Robert eintrat, wurde er
ebenfalls rot. Wir hatten abgemacht, nicht über mein Abenteuer zu sprechen. Als
Cora uns fragend musterte, war klar, dass er sich an die Abmachung gehalten
hatte.
Coras Stimme klang streng. »Gehen Sie rauf zu Ihrer Momma, Miss
Isabelle. Sonst macht sie sich Sorgen.«
»Danke, Cora. Ich sage Mutter Bescheid«, versprach ich und
stammelte: »Hallo, Robert.«
Er wich meinem Blick aus.
»Was war das denn?«, hörte ich Cora Robert fragen, als ich den Flur
entlangtrottete.
»Nichts, Momma«, antwortete Robert.
Cora räusperte sich, dann klapperte Geschirr, und die Ofentür
knarrte.
Als sie später die Teller abräumte, stand ich vom Tisch auf und
schlich mich in die Küche. Mein Puls wurde schneller, als ich Robert, in ein
Schulbuch vertieft, am Tisch sitzen sah. Er sah mich fragend an.
»Du bist also ohne Probleme heimgekommen?« Mir fiel einfach nichts
Intelligenteres ein.
»Alles in Ordnung. Es ist niemandem aufgefallen, dass ich so spät
unterwegs war â¦Â«, fing er an.
»Gott sei Dank hat Mutter nicht nach mir geschaut â¦Â«, sagte ich
gleichzeitig, und wir mussten lachen.
»Ich habe mich schon einmal bei dir bedankt, Robert, aber â¦Â« Ich
holte tief Luft. »Dass du da warst â ich glaube, das war Kismet.«
Das Wort wusste ich aus dem Kreuzworträtsel der
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