Zu zweit tut das Herz nur halb so weh
mich auf, doch
die Hebamme schob mich auf die Matratze zurück.
»Bleiben Sie liegen. Ich muss noch ein paar Sachen überprüfen und
Sie waschen. Und â¦Â« Sie zögerte, sah erneut zur Tür und schüttelte den Kopf.
»Ich tue, was ich kann.«
»Mutter!«, kreischte ich. Die Frau zuckte erschreckt zusammen.
Mutter öffnete die Tür einen Spalt und trat ein.
»Ich will mein Kind sehen«, sagte ich nun mit ruhiger Stimme.
»Das ist keine gute Idee, Isabelle.«
»Nur ganz kurz, Maâam?«, meinte die Hebamme. »Damit sie sich
wenigstens davon verabschieden kann? Das hilft manchmal.«
»Das würde alles nur noch schwerer machen. AuÃerdem geht Sie das
nichts an«, erwiderte Mutter eisig. Kaum zu glauben, dass ich einmal ihr Baby
gewesen war.
Nachdem meine Mutter wieder gegangen war, fragte ich die Hebamme:
»Was werden Sie mit der Kleinen machen? Ich muss wissen, wo sie hinkommt.«
Meine Mutter würde mir das nie verraten.
»An einen guten, sicheren Ort, keine Sorge.« Die Hebamme lauschte
kurz auf den Regen, der aufs Dach prasselte. »Eines Tages werden Sie sie
wiedersehen, das weià ich.«
Ihre Versuche, mich zu trösten, halfen nicht. Ich schrie und schrie,
während die Hebamme mich wusch, mit warmen Tüchern abrieb und den Riss nähte,
der mich in den folgenden Wochen schmerzhaft an meinen Verlust erinnerte.
DREISSIG
DORRIE, GEGENWART
Am nächsten Morgen holte uns der Mechaniker wie
versprochen vom Hotel ab. Sobald Miss Isabelle und ich wieder unterwegs waren,
fragte ich sie nach den Einzelheiten der Geburt.
Je mehr sie erzählte, desto leichter schien es ihr zu fallen. Für
sie war das wahrscheinlich so eine Art Katharsis. Vierzig senkrecht, neun
Buchstaben: innere Reinigung, Offenbarung. Katharsis. Schon das Wort klang schmerzhaft.
Als sie mir schilderte, dass ihre Mutter ihr das Baby nicht zeigen
wollte, schluckte ich. Ich wischte die Tränen verstohlen weg, in der Hoffnung,
dass Miss Isabelle dachte, meine Augen tränten wegen der grellen Sonne.
»Warum ist sie so geworden?«, erkundigte ich mich mit belegter
Stimme. »Ich habe groÃe Angst, dass ich meine Kinder im Stich lassen könnte,
Miss Isabelle.«
Ich musste an Stevie junior denken. Wie sollte der Junge mit der
Situation fertigwerden?
Ich hatte am Morgen mit ihm gesprochen. Ihm war peinlich, dass Miss
Isabelle seinen Tobsuchtsanfall mitbekommen hatte, und er hatte sich
entschuldigt. Ich sagte, ich hätte das Gefühl, dass ich bei ihm sein sollte,
jetzt, da wir beide ein bisschen ruhiger waren, aber er meinte, es wäre schon
in Ordnung. Bailey würde noch nicht mit ihren Eltern reden und nichts
unternehmen, bis ich nach Hause käme. Stevie junior hatte BiBi das Geld
gegeben. Er wusste genau, dass er es seiner zwölfjährigen Schwester anvertrauen
konnte, nicht aber meiner Mutter.
»Versuch, ihnen ein Vorbild zu sein«, riet Miss Isabelle mir. »Im
Einzelfall müssen sie ihre eigenen Entscheidungen treffen. Du wirst sie nicht
im Stich lassen, Dorrie, weil du sie mehr liebst als dich selbst.«
»Wieso war Ihre Mutter so hart?«
»Das waren andere Zeiten damals, Dorrie. Ich hatte eine Grenze
überschritten. Seinerzeit hätten alle Mütter so reagiert. Und du hörst die
Geschichte aus meiner Perspektive, der einer Siebzehnjährigen. Junge Menschen
sehen die Dinge meistens und ironischerweise schwarz oder weiÃ. Alles oder
nichts. Trotz ihrer Begeisterung für Neues brauchen sie oft Jahre, um das groÃe
Ganze zu erkennen. Trotzdem glaube ich, dass meine Mutter nie gelernt hat, mich
richtig zu lieben. Weil ihre Bedürfnisse in der Kindheit nicht befriedigt
wurden, konnte sie sich als Erwachsene in ihrer Angst nur am gesellschaftlichen
Status festklammern. Sie hat sich so viele Sorgen darüber gemacht, was die
Leute über uns denken könnten, dass sie am Ende mich darüber vergessen hat.«
Miss Isabelle tat mir leid. Meine alleinerziehende Mutter hatte die
Dinge früher nicht im Griff gehabt und trieb mich jetzt manchmal in den
Wahnsinn, doch an ihrer Liebe hatte ich nie gezweifelt. Ich war mir immer
sicher gewesen, dass sie mich auf ihre unzuverlässige, impulsive, absurde Weise
liebte. Ich sah den Stolz in ihren Augen, wenn sie mich mit meinen Kindern oder
mit Kunden beobachtete â auch wenn sie meine Vorgehensweise manchmal nicht
verstand. Sie hatte mich oft im Stich
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