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Zu zweit tut das Herz nur halb so weh

Zu zweit tut das Herz nur halb so weh

Titel: Zu zweit tut das Herz nur halb so weh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kibler
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kaum gesehen, denn ich hatte sie in Ruhe gelassen, wie sie mich
gebeten hatte. Zwar hätte ich gern gewusst, wie es Robert und Nell ging.
Arbeitete Robert noch in der Werft? Hatte er die Erinnerungen an unsere
Hochzeitsnacht und den darauffolgenden Tag verdrängt? Und was war aus dem
winzigen Fingerhut geworden? All das hätte ich gern von Cora erfahren, aber
ihre Warnung war nur allzu unmissverständlich gewesen.
    Nun wurde mir klar, dass meine Mutter mich nicht vor die Tür setzen
würde. Ich war im vierten Monat; wenn, hätte sie das längst getan. Und mit
jedem Tag wurde ich zuversichtlicher, dass ich das Kind zur Welt bringen
konnte.
    Ich ließ meine ursprüngliche Absicht zu fliehen, sobald sich eine
Gelegenheit dazu ergäbe, fallen. Denn wenn ich blieb, wären Nahrung und
Unterkunft für mein ungeborenes Kind gesichert, ungeachtet der frostigen
Atmosphäre. Und mein Vater könnte die medizinische Betreuung übernehmen.
    Im Augenblick war es nur vernünftig zu bleiben. Meine Mutter, die
spürte, dass ich mich in mein Schicksal fügte, erlaubte mir außerdem, mich
freier im Haus zu bewegen. Nur meine Brüder mieden mich.
    Am Anfang zählte ich noch die Tage und Wochen, später dann, als ich
immer dicker und unbeholfener wurde, die Monate.
    Mrs Gray sprach wenig – lediglich, wenn die Höflichkeit es
erforderte. Offenbar hatte meine Mutter sie nicht nur wegen ihrer
haushälterischen Fähigkeiten, sondern auch wegen ihrer Verschwiegenheit
eingestellt.
    Obwohl die Zeit stillzustehen schien, kam der Sommer und brachte
noch extremeres Wetter als im vorangegangenen Jahr mit sich – im einen
Augenblick war es so schwül, dass ich mich kaum bewegen konnte, im nächsten
zuckten Blitze über den Himmel.
    Eines Nachmittags, als wieder einmal ein Gewittersturm tobte, lief
ich in dem Flur vor meinem Zimmer auf und ab. Die Langeweile machte mich ebenso
verrückt wie die Schwangerschaftsbeschwerden, denn das Baby drückte inzwischen
deutlich spürbar gegen Lunge und Rippen. Nur ab und zu blieb ich am Fenster
stehen und starrte in den Sturm hinaus, nur um dann eine weitere Runde zwischen
dem Treppenabsatz und meinem Zimmer zu drehen.
    Bei den wöchentlichen Treffen des Wohltätigkeitsvereins wurden
aufmunternde kleine Schreiben an Bettlägerige, Witwen und Todkranke verfasst.
Meine Mutter nahm diese Briefe stets mit nach Hause, um sie zu adressieren und
zur Post zu bringen. Ich malte mir aus, wie ihre sogenannten Freundinnen
reagieren würden, wenn ich eine Botschaft für ihr nächstes Treffen in den Korb
schmuggelte, in der ich um Mitleid für meinen wenig beneidenswerten Zustand und
um das Ende meiner Verbannung bat. Bestimmt hatte sie sich eine Geschichte
zurechtgelegt, die meine Abwesenheit erklärte – oft verschwanden junge, gesunde
Frauen und kehrten mit ausgemergelten Gesichtern und traurigen Augen zurück. Es
hieß, sie hätten entfernten Verwandten bei der Pflege eines Angehörigen
geholfen. Ob jemand meine Mutter nach mir fragte? Schließlich wäre es mein
letztes Jahr an der Schule gewesen.
    Wie viele der Mädchen waren wohl wie ich Gefangene in ihrem eigenen
Haus gewesen? Und wie viele waren weggeschickt und von ihren Kindern getrennt
worden?
    Bestimmt existierten für solche Fälle Bedingungen – dass das Kind
für eine Adoption akzeptabel sein musste, zum Beispiel. Doch was geschah mit
Babys, die einen körperlichen Defekt oder dunkle Haut hatten, obwohl sie von
einer Weißen stammten? Fast war ich erleichtert, dass man mich nicht aus dem
Haus gejagt hatte.
    Nach endlosen Runden in dem Flur kam meine Mutter mit müden
Schritten die Treppe herauf.
    Â»Bitte hör auf, auf und ab zu laufen«, sagte sie, als ich mich
gerade wieder vom Treppenabsatz abwenden wollte.
    Â»Ich bin unruhig, Mutter. Ich kann nichts dagegen tun.«
    Â»Das hättest du früher bedenken können, als …« Sie führte den Satz
nicht zu Ende.
    Â»Als was, Mutter? Als ich mich verliebt habe? Als ich geheiratet
habe, bevor ich schwanger wurde? Als ich deine Pläne durchkreuzt habe?«
    Angesichts meiner Unverschämtheit schüttelte sie nur den Kopf; kein
Anzeichen von Mitgefühl breitete sich in ihrem Gesicht aus.
    Â»Hast du die Briefe für die Kirche fertig?«, fragte ich voller
Sarkasmus. »Die alten Frauen und kranken Leute halten dich sicher für eine
vorbildliche, mitfühlende

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