Zu zweit tut das Herz nur halb so weh
unter anderem, dass er eine Frau geheiratet hatte, die Streitgespräche um
ihrer selbst willen liebte. Er nahm das hin wie alles andere auch, mit
belustigtem Stolz.
Irgendwann im Jahr 1943 schlenderte Max wie immer zur
Bushaltestelle. Ich lieà meine Frustration an den armen Kartoffeln und Karotten
aus, die ich fürs Essen schälte, und an einem widerspenstigen Rosenbusch, den
wir im Frühjahr gepflanzt hatten. Im Krieg richteten sich unsere gärtnerischen
Bemühungen eher darauf, Salat, Bohnen und anderes Gemüse anzubauen. Doch diesen
einen Rosenstrauch in einer kargen Ecke des Gartens leisteten wir uns.
Allerdings hatten wir nicht damit gerechnet, dass sich die Pflege der Pflanze
als so anspruchsvoll entpuppen würde. Wenn ich nicht gegen Mehltau kämpfte,
düngte ich. Und wenn ich nicht düngte, stutzte ich den Busch.
Ziemlich viel Aufwand für einen mittelgroÃen Strauch, der bis dahin
noch nichts Aufregendes hervorgebracht hatte. Gleich nach dem Pflanzen waren
ein paar Knospen aufgegangen, aber den gröÃten Teil des Sommers, Herbstes und
Winters hatte der Busch geruht. Irgendwo hatte ich gelesen, dass sich üppige
Blüten zeigen würden, wenn ich ihn im Frühjahr zurückschnitt â Blüten, von
denen ich glaubte, sie würden mir vielleicht neue Hoffnung schenken.
»Das Stutzen von Sträuchern ist noch nie deine Stärke gewesen«,
hörte ich eine Stimme hinter mir sagen.
Ich lieà die Gartenschere fallen, hielt die Hände vor den Bauch und
fiel zu Boden, weil meine Beine mich nicht mehr trugen. Niemals hätte ich
gedacht, diese Stimme noch einmal zu hören. Aber sogar nach vier Jahren hätte
ich sie überall erkannt.
Ich wagte es nicht, mich umzudrehen. Fragte mich, ob ich mir die
Stimme nur eingebildet hätte, weil ich an die Zeit zurückdachte, als Robert die
Ranken an der Laube zurückschnitt.
Räuspern.
Vorsichtig blickte ich über die Schulter.
Robert stand in Uniform vor mir und drehte verlegen die spitze Kappe
zwischen den Fingern.
Eine Vielzahl von Gefühlen überfiel mich: Erleichterung. Schock.
Freude. Wut. Skepsis. Hoffnung. Verbitterung.
Liebe.
Immer noch Liebe.
»Hallo, Isabelle.« Er klang ruhig und selbstbewusst, war zu einem
Mann gereift. Keine Spur mehr von dem Jungen, der sich verängstigt umsah, ob
uns jemand beobachtete.
Mühsam rappelte ich mich hoch, trat einen Schritt auf ihn zu,
unsicher, ob er sich nicht doch gleich in Luft auflösen würde.
»Du bist es wirklich«, sagte ich, als ich ihm nahe genug war, um ihn
zu berühren.
»Natürlich.«
Am liebsten hätte ich die Arme um ihn geschlungen und ihn gefragt,
warum er nie versucht hatte, mit mir Kontakt aufzunehmen. Doch ich starrte ihn
nur an.
Seine Erlebnisse der vergangenen vier Jahre hatten Spuren auf seinem
Gesicht hinterlassen, und seine tiefe Baritonstimme klang kultivierter als
früher.
»Was machst du hier? Wie â¦Â«
»Wahrscheinlich hat das Schicksal mich zu dir geführt. Kismet. Ein
zweites Mal.«
»Kismet?« Ich war verwirrt, erinnerte mich dann jedoch an meine
Worte von damals.
»In der Stadt bin ich deinem Vater begegnet. Er hat mir von ⦠von
deiner Heirat erzählt. Es war nicht schwierig, den Namen deines Mannes im Telefonbuch
zu finden.«
Mein Vater wusste also, dass ich verheiratet war. Seine Erwähnung
versetzte meinem Herzen einen Stich.
»Wo bist du gewesen?«
»Du meinst, in letzter Zeit?«
»Nein, eigentlich seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Aber im
Moment reicht auch die letzte Zeit.« Ein eisiger Unterton schlich sich in meine
Stimme, den ich sofort bedauerte. SchlieÃlich hatte Robert keine andere Wahl
gehabt. Meine Brüder hätten ihn gelyncht, wenn er noch einmal aufgetaucht wäre.
Trotzdem war ich verbittert. Hatte er es wenigstens versucht?
»Ich habe mit anderen Schwarzen in Militärkasinos gearbeitet.« Er
zerdrückte den Rand seiner Kappe. »Bis jetzt nur an der Heimatfront. Anfangs
hieà es, ich würde nie zu einer medizinischen Einheit dürfen, aber nun ist die Rede
davon, dass eine Gruppe von schwarzen Ãrzten für den Krieg in Europa
ausgebildet wird. Dafür will ich mich melden.«
Mir stockte der Atem. Obwohl ich wieder verheiratet war, hatte ich
für einen Moment geglaubt, er würde mich retten, wie in einem Märchen. Ich
brachte kein Wort über die Lippen, erst als das
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