Zu zweit tut das Herz nur halb so weh
Eltern vorher nicht. Und
die von Max wohnten Hunderte von Kilometern entfernt. Er schickte ihnen ein
Telegramm, in dem er ihnen schrieb, er hätte Verständnis, wenn sie nicht kämen.
Erneut trug ich ein schlichtes Kleid. Das von meiner ersten Hochzeit
hing im Schrank; der bittersüÃe Staub der Erinnerung setzte sich im Stoff fest.
Ich schaffte es nicht, es ein zweites Mal anzuziehen â oder wegzuwerfen.
Meine erste Trauung fand im bitterkalten Januar statt, die zweite im
hellen Spätfrühling.
Das erste Mal war meine Stimmung frühlingshaft, das zweite Mal
winterlich.
Ich hatte einen einfachen Goldring am Finger und musste immerzu an
den Fingerhut denken, den Sarah Day mir geschenkt hatte. Ich fragte mich nach
wie vor, wo er abgeblieben war.
Die Zeremonie verlief unspektakulär. Der Standesbeamte begutachtete
die Formulare und erklärte uns zu Mann und Frau.
Niemand beachtete uns, als wir das Standesamt verlieÃen.
Max hatte eine Hypothek für ein Häuschen in einem neueren Teil von
Cincy aufgenommen, in das wir meine nach wie vor spärlichen Besitztümer
brachten.
Diese Hochzeitsnacht unterschied sich sehr von meiner ersten.
Ich musste nicht fürchten, dass jemand unsere Verbindung für
unpassend oder ungesetzlich halten könnte und uns hinterherjagen würde. Und ich
hatte keine Angst, als Max mich zu dem bescheidenen Bett in unserem winzigen
Schlafzimmer führte. Eine leidenschaftliche Braut war ich nicht gerade. Ich
fügte mich eher in den Akt; erst im Lauf der Zeit begann ich, ihn zu genieÃen.
Ich achtete darauf, nicht schwanger zu werden. Max war wie ich der
Ansicht, dass wir damit warten sollten. Angesichts des drohenden Kriegs und der
sich nur allmählich entspannenden wirtschaftlichen Lage bestand ich darauf,
dass wir weiterarbeiteten, bis wir ein gemeinsames Zuhause aufgebaut und ein
finanzielles Polster angelegt hätten.
Natürlich wäre es nur fair gewesen, gleich zu sagen, dass ich keine
Kinder wollte. Ich hatte Max nichts von meiner Geschichte mit Robert erzählt
und hoffte, das auch nie tun zu müssen. Der Gedanke an eine weitere
Schwangerschaft erschreckte mich. Ich fürchtete, dass der Treppensturz meinen
Unterleib dauerhaft geschädigt hatte. Vielleicht war ich überhaupt nicht mehr
in der Lage, ein Kind auszutragen. So genau wollte ich das auch gar nicht
wissen. Ein Baby hätte mich nur an die Tochter erinnert, deren Gesicht ich
niemals gesehen hatte.
Im Dezember 1941 traten die Vereinigten Staaten in den Krieg ein.
Das veränderte alle. Die Bombardierung von Pearl Harbor erschütterte den
Glauben an die Unbezwingbarkeit unseres Landes. Als ich von unserem
Kriegseintritt erfuhr, zog ich mich schluchzend ins Bett zurück. Max glaubte,
ich weinte des Krieges wegen; er konnte nicht wissen, dass meine Tränen Robert
galten. Ich fragte mich, ob er den Krieg überleben würde. Max versuchte, mich
tröstend in den Arm zu nehmen, doch ich wandte mich ab. Abermals hatte ich das
Gefühl, Robert zu hintergehen.
Anfangs arbeitete ich noch für Mr Bartel, wenn auch weniger Stunden.
Der Krieg beeinträchtigte das Geschäft. Maxâ Job als Buchhalter für einen
Industriezulieferer dagegen blieb davon unberührt. Ich machte ihm jeden Morgen
Frühstück und packte seine Lunchbox. Er küsste mich auf die Wange, als wären
wir seit Ewigkeiten verheiratet, und winkte mir auf dem Weg zum Bus zu. Wir
sparten auf ein Automobil, aber angesichts der Treibstoffrationierung hatte das
keine Eile.
An den Wochenenden gingen wir nach wie vor ins Kino oder ins
Konzert, obwohl nun, da so viele Männer an der Front waren, das musikalische
Angebot karger wurde.
Ich sah unsere Zukunft deutlich vor mir â nach dem Krieg würde unser
Leben weitergehen wie bisher, gemächlich und vorhersehbar, Jahr um Jahr,
Jahrzehnt um Jahrzehnt.
Max brauchte Routine, mich lieà sie innerlich verkümmern. Ich
verfluchte unser ödes Luftschloss. Max hatte kein Interesse an Gesprächen über
Tagespolitik, Bücher, Musik oder Filme. Wenn ich versuchte, ihn dafür zu
begeistern, erklärte er mir schmunzelnd, dass er kein Bedürfnis verspüre,
hinter die Fassaden zu blicken.
Abgesehen von seiner Unfähigkeit, irgendetwas Unvorhergesehenes zu
tun, war er ein guter Ehemann. Nach weniger als zwei Jahren Ehe hatte ich das
Gefühl, ihn in- und auswendig zu kennen. Er wusste seinerseits nur wenig von
mir,
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