Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
zuadraht

zuadraht

Titel: zuadraht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kopacka
Vom Netzwerk:
Gefühls, ihrer (wenn es sein muss) weiblichen Intuition, wie Bela gesagt hatte, in Zweifel. Aber war es das allein? War es bloßer Zweifel an einer . . . ja, auch an einer Art von Eingebung, wenn man so will, dachte ich, die sich der jungen Kollegin offenbart hatte? Einer jungen Kollegin, deren Auftauchen und Auftreten ein Wechselbad der Stimmungen über mir ausgegossen hatte? Ein Wechselbad der Empfindungen, dessen Zutaten und Wirkung ich nicht analysieren konnte. Nicht analysieren wollte. Schwang in diesem Also nicht auch Zweifel an mir selbst mit? Zweifel an der Trägheit meines Geistes? Begnügte ich mich womöglich viel zu leicht mit einer vorschnellen Lösung? Mit einem zerschmetterten Körper im Fels? Bloß weil er da und greifbar war? Weil ich mich seiner bedienen konnte? Weil es letztlich bequem war, den gordischen Knoten, den unser Mörder aus vier Toten geflochten hatte, mit einer fünften Leiche zu durchschlagen? Ich schloss die Augen, knipste das Morgenlicht aus und nahm Platz. Erste Reihe fußfrei. Gedankenkino. Da warst du schon lange nicht mehr, Ferri. Ordne deine Gedanken in eine Abfolge von Bildern, sagte ich mir, eine logische Abfolge von Bildern, die dir hilft, die Wirrnis der Geschehnisse zu bündeln, zu bändigen, zu zähmen. Projiziere diese Bilder auf die rötliche Leinwand deiner Liderinnenseite und bewerte sie. Szenen der vergangenen Tage stiegen empor: das Sushi-Messer im stadträtlichen Rücken; der Henkersknoten am landesrätlichen Hals; der weit aufgerissene Schnabel des alten Lehrers Geier und das Hofer-Sackerl am Boden; der von einem kleinen Stück Metall zerschmetterte Schädel der Landeshauptfrau. Bildabfolgen, durchwoben von nicht fassbaren Szenen, wie beliebig dazwischen geworfene Streulichter, zu kurz und zu verschwommen, als dass das Bewusstsein sie erfassen könnte. Dazu das monotone Surren des Projektors. Drossle die Frequenz des Surrens, sagte ich mir, je geringer die Hertzzahl, desto größer die Chance, die Streulichter zu verwertbaren Bildern einzufrieren. Ich drosselte und drosselte, aber die Verworrenheit der Streulichter blieb.
    Der Einsatzleiter der Uniformierten trat heran. „Die Kollegen haben über Funk angefragt, ob sie den Toten nur sichern oder raufholen sollen?“
    Ich tippte Michelin, der immer noch neben dem Kopf der Landeshauptfrau kniete, auf die Schulter. „Was meinst du?“
    „Ich bin keine Gämse. Du kennst doch mein Credo, Ferri: Wirtshäuser von innen, Kirchen von außen, Berge von unten. Also raufholen! Was soll ich da unten mit ihm. Außerdem . . . wenn es Spuren gibt, dann heroben.“
    „Sie haben es gehört: raufholen!“
    Der Kommandeur drehte in gebückter Haltung sein Gesicht ins Lee des immer stärker aufbrandenden Windes und sprach ein paar Worte in sein Funkgerät. Ein auf – und abschwellendes Knarren kam zurück, ein Redeschwall geradezu, viel länger als ein schlichtes „Verstanden“, das zur Bestätigung eines Befehls genügt hätte. Dann wandte er sich erneut um. „Sie sagen, dass der Tote mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Fahndungsbild übereinstimmt. Soweit die Verletzungen eine solche Bestimmung zulassen.“
    „Martin Hanser?“, fragte ich mit erregtem Unterton.
    Er nickte.
    „Das muss ich sehen. Sie sollen ihn auf der Aussichtsplattform Zwischenlagern. Michelin, wie lange brauchst du hier noch?“
    „Fünfzehn Minuten. Aber ein paar von meinen Leuten müssten schon drüben sein.“
    „Gut, dann komm nach.“ Ohne es zu wollen, ergriff ich Belas linke Hand und zog sie daran unter dem Bretterüberbau hindurch und die unter der Last meiner Schritte ächzenden und der ihres Trippeins jubilierenden Stufen hinab. Sie ließ es geschehen und mir war, als erwiderte sie das eine oder andere Mal den Druck meiner klammen Finger.
    Als wir durch den Steinbogen auf den Vorplatz des Bergfrieds hinaustraten, löste ich den Griff intuitiv gerade rechtzeitig. Eine Blitzlichtflut brach über uns herein. Die Vögel mit ihren Kameras, angereichert durch einen aufgeregten Redakteurshaufen, der wie wild drauflosredete und einen nicht enden wollenden Fragenhagel auf uns niederprasseln ließ. Kurz hatte die Meute bis dahin recht gut unter Kontrolle gehabt. Ich nahm ihn beiseite, flüsterte ihm ein „Lass dir was einfallen und halt sie mir bitte vom Leib, Kurt“ ins Ohr und warf ihm das beidäugige Sie-machen-das-schon-Leimböck-Zwinkern zu, das ich mir vom Kurzen abgeschaut hatte. Dann hob ich die Hände. Die Rufe verstummten blitzartig.

Weitere Kostenlose Bücher