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zuadraht

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Titel: zuadraht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kopacka
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letztlich doch ein. „Es ist gegen jede Regel“, sagte ich und fügte hinzu, als Hochauer, sichtlich enttäuscht, die Lippen zum Pseudoverständnis aufeinander presste: „Es sei denn, Sie gehen als Zeuge mit.“
    „Als Zeuge?“ Bela blickte mich mit durchdringender Irritiertheit an.
    „Wir kennen bloß ein altes Foto. Die bleiben ja alle ewig jung, die Damen und Herren Kolumnenschreiber, jahrzehntelang dieselbe Visage in der Zeitung, bis sie auf einmal steinalt sind. Du weißt nicht, wie er in Natura aussieht. Und ich auch nicht. Wenn also einer einen vermutlich verunstalteten Martin Hanser identifizieren kann, so auf kurzem Wege, meine ich, dann jemand, der jahrein jahraus mit ihm zusammengearbeitet hat, bis zuletzt, nicht wahr, Herr Hochauer? Als Zeuge!“ „Natürlich! Natürlich! Als Zeuge!“ Hochauer gurrte geschäftig. „Aber . . . was ist mit dem Hanser?“
    „Er hat Burgfräulein gespielt“, sagte ich.
    „Oh!“ Hochauer verstand.
    „Burgfräulein?“ Bela verstand nicht.
    „Richtig. Burgfräulein. Das Ritterfräulein Anna von Gösting soll sich der Legende nach irgendwann im zwölften Jahrhundert von diesem Felsen gestürzt haben, als sie vom Tod ihres Freundes erfuhr. Daher der Name Jungfernsprung. Sofern sie eine war. Wie auch immer. Ihren Vater, Wulfing von Gösting, traf daraufhin der Schlag. Fazit des munteren Sterbens: Das Geschlecht der alten Göstinger starb aus.“
    „Und?“, fragte Bela.
    „Was und?“
    „Was war dann?“
    „Was – was war dann?“
    „Die Burg“, insistierte Bela. „Was war damit?“
    „Sie ist verfallen. Nun ja, nicht sofort, aber doch. Von der Burg Gösting aus wurde damals nicht nur die Straße, sondern auch die Mur kontrolliert. Vorerst wurde sie ausgebaut auf ihre heutige Ausdehnung von mehr als hundertachtzig Meter Länge. Sie überstand sogar die Türken. Damals war das noch recht einfach. Aber mit ihrer Bedeutung als landesfürstliche Sperrfestung war es irgendwann einmal vorbei. Und dann kam die große Katastrophe?
    »Ja?“
    „Eine mächtige Explosion. Die Grazer hatten nach dem Dreißigjährigen Krieg ihre Munitionsvorräte lange Zeit hier heroben eingelagert. Bis ein Blitzschlag 1723 das Ende einläutete. Die gesamte Anlage wurde vernichtet. Mit Ausnahme der Kapelle und des Bergfrieds.“
    „Hat man denn nie daran gedacht, die Burg wieder aufzubauen?“
    „Offenbar nicht. Mit der Bewohnbarkeit war es ja nach dem Brand aus und vorbei?
    „Und der Turm?“
    „Der Bergfried? Wozu der gedient hat, weiß man auch heute nicht genau. Jedenfalls nicht als Wohnturm. Das waren Bergfriede nie. Eher ein Statussymbol des Burgherren. Irgendwann haben sie begonnen, die Nordwand des großen Palas abzutragen, weil sie Material für den Bau der Südbahn gebraucht haben. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, glaube ich. Das war s dann endgültig. Bis sich der Burgverein konstituiert hat. Vor achtzig Jahren?
    Hochauer blies hörbar aus. „Respekt, Herr Oberstleutnant, Respekt?
    Da schau her, dachte ich, da weißt du einmal ein bisschen was (eigentlich der Herr Ferri junior, der einen ständig damit bombardiert, bis du gar nicht anders kannst, als es dir zu merken), und schon opfert der Hochauer unsere verschwörerische Vertrautheit wieder dem Oberstleutnant. „Gratulieren Sie meinem Sohn?
    „Verstehe. Verstehe“, gurrte Hochauer pflichtschuldig, ohne zu verstehen. Bela lächelte und verstand.
    Als wir um die letzte Windung des in Stein geschlagenen Pfades bogen, stieg ein monotones Knattern die Felsstürze empor. Augenblicke danach schwebte ein Mann der Sondereinheit am Seil über der Plattform, mit dem gefüllten schwarzen Bergesack als Bauchladen, und ließ sich von einem von Michelins Männern einen Platz für seine leblose Fracht zuweisen.
    „Ich muss Ihnen wohl nicht sagen, Herr Hochauer, dass das kein schöner Anblick werden wird“, sagte ich und begann, den Reißverschluss des Bergesacks bis zur Mitte zurückzuziehen.
    „Glauben Sie, dass der Hanser das jemals war? Der kann nur gewinnen?
    Bela drückte den Kopf zwischen die Schultern und verzog das Gesicht zu einer Das-ist-Kollegenliebe-Miene. Als der Sack einen Spaltbreit offen war und ein deformierter, blutiger Fleischklumpen als Kopf und am Halsansatz der schmale Kragen eines blauen Arbeitsoveralls hervorlugten, kniff sie die Augen zusammen. Ihre rechte fasste meine linke Hand und presste sie. „Auf Fotos sind die Toten immer so weit weg“, flüsterte sie. „Aber die hier, die Landeshauptfrau

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