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zuadraht

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Titel: zuadraht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kopacka
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und der Hanser, die sind so nah. So echt.“
    Auch mich erfasste ein Schaudern. Der Kopf des Toten war von zahllosen klaffenden Wunden übersät. Kein Wunder, dachte ich, bei der Wucht, mit der sein Körper mehrmals auf dem Fels aufgeschlagen haben musste. Dennoch lag in der Gesamtheit seines Gesichtsausdruckes etwas Irritierendes. Bloß was?
    Bela schien ebenso durcheinander. „Ich versuche mir auszumalen, wie es mir ginge, würde ich mich von einem Felsen stürzen. Vor allem der Moment vor dem Aufprall, sofern ich noch bei Bewusstsein bin. Aber wahrscheinlich bin ich das. Soweit nach unten geht es dann auch wieder nicht.“
    „Und?“
    „Ich würde schreien. Oder zumindest intuitiv das Gesicht verziehen. Aber der hier wirkt fast. . . fast schon friedvoll, findest du nicht?“
    Friedvoll. Das war es. Friedvoll. „Genau so, Bela. Als hätte ihn der nahe Tod nicht gekümmert“, sagte ich. „Als wäre er im freien Fall eingeschlafen?
    Bela blickte verwirrt. Helmut Hochauer ebenso. Er starrte nach wie vor reglos auf die blutige Kopfmasse. „Ich hätte nicht gedacht“, hob er endlich an, „dass ich das einmal sagen würde: Aber der Hanser hat schon besser ausgesehen.“
    „Sind Sie sicher?“
    „Dass es der Hanser ist? Ja. Absolut sicher. Er hat unverkennbar markante Züge in seiner Visage. Die kann auch ein Hundertmetersturz nicht kaschieren. Kennen Sie den Spruch von diesem bayerischen Kabarettisten? Was die Natur verschissen hat, lässt sich durch Prügel nicht korrigieren. Na ja, war eigentlich im Original auf das Verhältnis Mann Frau bezogen, aber im übertragenen Sinn. . .“ Hochauer lachte, als wollte er den Schauer der Szenerie von sich schütteln. Ein komischer Vogel, dieser Hochauer, dachte ich, reißt im Augenblick des größten Entsetzens die makabersten Witze. Aber. . . tun wir das nicht alle?
    Während Hochauer auf das friedvolle Hanser-Blutgesicht stierte, schob ich Bela ein paar Schritte beiseite. „Ich verstehe gar nichts mehr“, raunte ich ihr zu. „Vor allem das Verhältnis zwischen Hanser und unserem großen Unbekannten. Erst wird mit Hansers DNS gemordet, ohne dass er die Taten selbst begeht, und dann, beim großen Finale quasi, legt er selbst Hand an? Und belohnt sich mit einem Hundert-Meter-Freiflug in die Ewigkeit? Macht das Sinn?“
    „Irgendwie ja.“
    „Irgendwie ja?“
    „Ja. Ich wälze unentwegt die Akten in meinem Kopf. Vor allem den Teil, der Martin Hanser und seine Lebensumstände betrifft. Es fehlt etwas Entscheidendes.“ Belas sonst so freundlichrosiger Teint war der blutleeren Blässe der Ernsthaftigkeit gewichen. „Etwas Entscheidendes, Ferri. Es gibt nicht den geringsten Hinweis, dass er eine Affinität zu Waffen hat. Keine Waffenbesitzkarte, kein Waffenschein, kein Mitgliedsausweis in einem Schützenverein, kein Ölzeug, und schon gar keine Waffe, nichts. Kein Indiz, dass einer wie er imstande ist, aus hundertfünfzig Meter Entfernung einem Menschen in die linke Schläfe zu feuern. Wie viele Menschen können das?“
    „Die wenigsten.“
    „Eben. Warum, frage ich dich, sollte er solche Spuren verwischen, wenn seine Lebensplanung darin besteht, im großen Finale, wie du es nennst, einen Abgang zu machen? Ich sage dir, warum: Weil er keine Ahnung hatte, dass man ihm solche Fähigkeiten zuschreiben würde. Jede Wette, Ferri, dass wir auf der Waffe, die vermutlich irgendwo da unten liegt, seine Fingerabdrücke finden. Jede Wette, dass seine Spuren sonst wo auftauchen. Vielleicht steht dort oben ja ein Wagen, in dem Martin Hanser einmal mehr seine genetische Visitkarte hinterlassen hat. Erinnerst du dich daran, als wir von den vier möglichen Varianten sprachen? Den vier Beziehungsvarianten zwischen Martin Hanser und dem großen Unbekannten?“
    Ich nickte stumm, dachte aber: Wie könnte ich nicht? Das war doch jener Moment, als ich dir vor allen Kollegen in den Schuss gelaufen bin, und du die Flinte hochgerissen und in die Decke gefeuert hast.
    „Wenn wir nun diese vier Varianten wie einen Raster über alle Klarheiten und Unklarheiten legen, Ferri, dann schließt sich der Kreis. Damit gelangen wir wieder zu Hansers Gesichtsausdruck, der so gar nicht verbissen, so gar nicht verbittert, so gar nicht verhärmt ist. Stattdessen friedvoll gelöst. Wie hast du gesagt? Als wäre er im freien Fall eingeschlafen. Vielleicht hat er geschlafen. Ich gehe jede Wette ein, dass Martin Hanser gar nicht gewusst hat, dass er springen wird. Oder sollte ich sagen: gesprungen

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