zuadraht
mehr. Die besten Psychiater der Nation werden sich bald um dich kümmern. Sie werden zu ergründen versuchen, was in dir den Knackpunkt ausgelöst hat. Vom Wort zur Tat. Sie werden viele Gründe finden! Und einige davon werden sie in dem handgeschriebenen Brief finden, den du, gemeinsam mit dieser Kolumne, an deinen Chefredakteur schickst.
„Schick ihm doch deine verdammte Kolumne, aber das mit dem Brief wird nie stattfinden. Du hast keine Chance, du wirst im Gefängnis
Hier ist ein Blatt Papier und ein Kugelschreiber. Ich lege beides vor dir auf den Tisch und du wirst das schreiben, was ich dir diktiere. Ich fordere dich nur einmal dazu auf.
„Lächerlich. Du weißt genau, dass ich so etwas Idiotisches nie tun werde. Alles, was sich hier in diesem scheußlichen Kellerloch abspielt, ist idiotisch. Ich bin zwar in deiner Gewalt, du kannst mich schlagen, verhungern und verdursten lassen, aber damit triffst du nur meinen Körper. Mein Geist gehört immer noch mir. Und der ist klar, im Gegensatz zu deinem.“
Mit Worten warst du immer schon mutig. Ich biete dir jetzt die Chance, eine andere Art des Mutes zu beweisen. Wenn du deinen Kopf nach links drehst, kannst du deine linke Hand sehen. Du kannst sie aber kaum bewegen, weil sie am Stuhl festgebunden ist. Ich werde jetzt dieses Messer nehmen – nein, nicht das Messer mit deinen DNS-Spuren, dieses hat eine wesentlich schärfere Klinge, ich habe sie selbst geschärft, stundenlang, und ich werde deinen Daumen abtrennen. Angesichts der Schärfe der Klinge wird es mich kaum Mühe kosten. Dann werde ich den Daumen vor dich auf den Tisch legen, neben das Blatt Papier und den Kugelschreiber, und du kannst dir überlegen, ob du den Brief schreiben willst oder nicht. Betrachte es als physische Variante einer Mutprobe. Die ultimative Begegnung mit dem Schmerz. Versuche nicht zu schreien oder zu heulen. Das würde mich enttäuschen. Wenn dir dein Geist dann immer noch sagt, nein, ich schreibe diesen Brief nicht, gebe ich dir die Chance einer zweiten Schmerzbegegnung. Dann ist der Zeigefinger dran. Und so weiter. Keine Angst, die Finger der Rechten darfst du behalten, die brauchst du ja zum Schreiben. Und du wirst noch viel schreiben müssen. Aber du hast ja auch noch zehn Zehen, zwei Ohren und andere Extremitäten.
„Nein, du tust es nicht. Lass mich los, bitte lass mich los. Ich bitte dich, nein, ich schreib ja den verdammten Brief. Neeeiiiin.“r
Siehst du, jetzt hast du doch geschrieen, du schreist ja noch immer. Wb bleibt der Mut, Herr Hanser? Wenn du nicht sofort mit dem Schreien aufhörst, muss ich dir den Mund verbinden. Dann wird das Atmen schwieriger. Und du kannst nicht mehr reden. Dabei lausche ich deinen Worten doch so gerne. Hier ist dein Daumen, kaum Blut. Ein Stück Körper, das sich nie mehr bewegen wird. Auch die Hand blutet nicht so stark wie ich vermutet hatte. Ich muss gestehen, dass es auch für mich das erste Mal war. Ich habe noch nie einen menschlichen Körperteil abgetrennt. Natürlich habe ich den Schnitt geübt. An einem Rinderbein. Da ist der Knochen viel dicker. Es war mühsam, deshalb habe ich für dich die Klinge geschärft. Es ist ein glatter Schnitt geworden, fast chirurgisch.
Gut so, du schreist nicht mehr. Wenn man sich entschließt, einem lebenden Menschen einen Körperteil abzuschneiden, muss man vor allem das Mitleid ausschalten. Das ist mir bei dir leicht gefallen. Ich habe nur an das denken müssen, was du mir und den anderen angetan hast. Dann war‘s nur ein Schnitt, nicht mehr.
„Ich verblute, ahhhhh.“
Du verblutest nicht, aber ich werde die Wunde trotzdem verbinden. Die Mullbinde habe ich schon vorbereitet. Man will ja kein Unmensch sein. Ich habe eine ganze Schachtel voller Mullbinden gekauft. Du weißt ja, die anderen Finger, Zehen, Ohren, Extremitäten.
„Es tut weh, wahnsinnig weh.“
Jammere nicht, fang an zu schreiben.
„Wer zum Teufel bist du? Ich kann nicht schreiben, der Schmerz bringt mich um, um Gottes Willen, hilf mir!“
Ich habe dir schon geholfen, die Wunde ist verbunden, du wirst nicht verbluten. Jetzt schreib, verdammt nochmal und denke an deinen Zeigefinger!
„Mein Gott, warum hilft mir keiner!“
So ist s gut, nimm den Kugelschreiber, hier ist das Papier. Du bist doch mit dem Chefredakteur per du, richtig? Also schreib.
Lieber Alois, es wird dich überraschen, auf diesem Weg von mir zu hören. Mir ist nach meiner Scheidung ganz einfach die Decke auf den Kopf gefallen. Burn-Out-Syndrom könnte
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