zuadraht
Darf ich dann gehen?“
Natürlich darfst du dann gehen, Dummkopf. Frei wie ein Vogel! Siehst du, jetzt löse ich den Knoten, noch etwas Geduld. So, jetzt ist deine Hand frei. Taub, habe ich Recht. Die Durchblutung. Du musst die Finger bewegen, dann kommt das Gefühl zurück. Nimm jetzt das Messer!
„Wozu, wenn ich ohnehin nicht frei komme ?“
Du sollst das verdammte Messer nehmen, hörst Du? Du sollst es nehmen, weil ich es sage! Weil du mir gehörst und weil ich es so will. So ist es gut. Nun versuche, die Fesseln zu durchtrennen. Schneiden, fest. Geht nicht? Klar, weil das Seil stahlverstärkt ist. Keine Klinge kann da durch. Doch an alles gedacht, nicht wahr? Lege jetzt das Messer vor dir auf den Tisch. Du sollst es nicht anglotzen, sondern weglegen. Sofort!
„Ja, du bist der Kerkermeister, verdammt noch mal. Der große Zampano. Was soll das alles? Sag mir doch endlich, was dieser Irrsinn soll? Was habe ich dir getan, warum quälst du mich?“ Alles hat einen Sinn, auch wenn es auf den ersten Blick sinnlos zu sein scheint. Warum glaubst du, trage ich diese Handschuhe. Aus feinstem weißem Gewebe. Nur weil sie angenehm zu tragen sind? Nein. Weil man damit keine Fingerabdrücke hinterlässt. Und auch keine DNS-Spuren, wie du. Was du in deiner Ahnungslosikgkeit Irrsinn nennst, war die Präparierung des Messers mit deinen Fingerabdrücken, mit deinen Körpersäften. Jetzt befinden sich Hautpartikeln auf dem Griff und dein Schweiß. Kriminalistisch betrachtet ist es damit dein Messer. Die Tatwaffe.
„Tatwaffe? Wovon redest du? Welche Tat? Was planst du? Sag es mir. Ich habe ein Recht es zu wissen!“
Du hast keine Rechte mehr. Und auch keine Pflichten. Du bist ein Ding, ein Spielzeug, mit dem ich tun kann, was ich will, verstehst du? Die Zeiten haben sich geändert, Herr Redakteur. Herr Kolumnenstar. Herr Menschenvernichter. Sie sind nicht einmal mehr ein Wurm. Sie sind ein Paket, das atmen darf und noch leben muss, weil ich es so will und weil ich es so brauche.
„Noch leben? Heißt das, dass du mich töten willst? Dann tu‘s doch, tu‘s jetzt gleich. Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Ha, ha, siehst du, ich lache über dich. Du bist eine lächerliche Figur mit deinem großsprecherischen Blödsinn. Aus deinem Mund kommt nur Scheiße, Herr Sammler. Ich weiß zwar nicht, wer und was du bist, aber im Vergleich zu mir bist du der Wurm. Ich habe Erfolg gehabt im Leben, man kennt mich im Lande. Ich bin ein Star, verstehst du? Man wird mich vermissen und nach mir zu suchen beginnen. Und man wird mich finden. Und dich auch. Wenn sie dich nicht gleich erschießen, dann wird dich der Richter zerfleischen. Lebenslang. Du wirst hinter den Gittern der Karlau verrotten!“
Belle nur, Hundchen. Wau, wau. Dabei solltest du froh sein, mir aus der Hand fressen zu dürfen. Wenn du nicht bald netter zu mir bist, wird dich Herrchen bestrafen. Keine Angst, ich war nie einer, dem das Prügeln Spaß gemacht hat. Zu banal. In meinem früheren Leben hab ich so manches Geständnis aus verstocktem Abschaum herausgeprügelt. Aber Spaß? Nein. Spaß hat mir das nie gemacht. Mittel zum Zweck, ja. Für dich habe ich mir eine ganz andere Strafe ausgesucht. Du bist eine ganz andere Art von Abschaum. Die Creme des Abschaums gewissermaßen. Der König der Kotzbrocken. Die Schaumkrone auf dem Meer des Bösen. Poetisch, nicht wahr? Ich habe viel gelernt in den letzten Jahren. Eigentlich habe ich alles dir zu verdanken. Seit du mich in die Gosse gestoßen hast, ist es mit mir bergauf gegangen. Ich habe mich entwickelt, aus der Raupe ist ein Schmetterling geworden, aus dem Sammler ein Jäger. Aus dem Analphabeten ein Literat. Ich habe jede Zeile studiert, die du geschrieben hast. Kein berauschender Stil, kann ich heute sagen, aber ein sehr effektvoller. Der Pöbel glaubt dir, hält dich für allwissend, für den bist du ein Prophet. Aber was du kannst, das kann ich auch. Ich schlage vor, wir machen eine Dichterlesung. Zum Vergleich. Ich lese und du hörst zu. Dann darfst du die Jury sein. Beurteilen, wer von uns beiden besser ist.
„Ich soll dich in die Gosse gestoßen haben? Was soll dieser Blödsinn. Ich kenne dich ja überhaupt nicht. Nie gesehen. Wer bist du überhaupt?“
Geduld, du wirst es erfahren. Nicht jetzt, jetzt wird gelesen und gelauscht. Ganz stumm, sonst werde ich böse. Siehst du das? Bedrucktes Zeitungspapier. ,Abgeschminkt‘ von Martin Hanser. Das bist du, das ist deine Kolumne von gestern. , Abgeschminkt‘, nicht
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