zuadraht
Theodor, nicht U Te und schon gar nicht unbekannter Täter). Beute: unter anderem vierzehn Schweizer Franken in Münzgeld. Keine Spuren. Vorerst. Alles scheint bestens abgewischt. Später wird dann doch ein halber Fingerabdruck entdeckt. Und ein Schuhabdruck auf dem Parkettboden. Profilsohle, ohne individuelle orthopädische Merkmale.“ Bela Schmaus sprudelte aus sich heraus, als ginge es darum, ein Zwei plus doch noch in ein Eins minus umzuwandeln. „Da keiner der Bewohner, wie sich bald herausstellt, solche Schuhe trägt, muss der Abdruck vom Täter sein. Vermutlich hat nur jeder Hundertste Schuhe mit solchem Profil in solcher Größe. Aber, ganz vorsichtig geschätzt, sagen wir: jeder Dreißigste, einverstanden?“
„Natürlich.“
„Interessant ist das daktyloskopische Fragment. Ein kompletter Fingerabdruck, in hundert kleine Quadrate unterteilt, weist in der Regel in sehr vielen die bekannten Merkmale auf – Papillarlinie endet nach oben, endet nach unten, gabelt sich nach oben, gabelt sich nach unten, dazu ein paar andere Besonderheiten, richtig?“
„Natürlich.“
„Die Merkmale treten, wie man weiß, etwa gleich häufig auf, also mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu vier pro Quadrat. Voneinander unabhängig. Daher dürfen wir sie miteinander multiplizieren, richtig?“
„Natürlich.“
„Haben wir zwei übereinstimmende Merkmale, ist die Wahrscheinlichkeit bereits eins zu sechzehn. Bei unserem Fingerabdruck haben wir sieben, also ein Viertel hoch sieben, macht eins zu sechzehntausend. Also hat nur jeder Sechzehntausendste diese Merkmale. Dazu die Stückelung des Geldes, noch dazu Schweizer Franken. Die trägt bei uns nicht jeder in der Hosentasche. Die Wahrscheinlichkeit hier: maximal eins zu hundert. Gehen wir, ganz grob gerechnet, von fünfzig Millionen Verdächtigen aus, teilen wir einmal durch sechzehntausend, dann durch hundert und dann durch dreißig. Wir dürfen ja teilen, weil die Merkmale von einander unabhängig sind, richtig?“
„Natürlich.“
Macht eins Komma null irgendwas. Bei fünfzig Millionen Menschen gibt es also eins Komma null irgendwas Menschen, die diese Merkmale vereinen. Und genau die hat unser Mann, nämlich der Radfahrer, der von der Polizei erwischt wird. Schuhprofil, Schweizer Franken in spezieller Stückelung und die passenden Fingerabdruckmerkmale. Aber eigentlich wollte ich gar nicht von Dingen wie Wahrscheinlichkeiten reden. Ziemlich alte Schule, nicht wahr? Außerdem . . . mein Job ist es ja nur, Verhalten zu beurteilen, und nicht Wahrscheinlichkeiten.“
„Natürlich“, murmelte ich einmal mehr in kürzester Zeit, dachte aber, dass das Wahrscheinliche eben oft nur zum Schein wahr ist, und da halte ich mich schon lieber ans Handfeste, wie die Kollegen mit den speisetellergroßen Handflächen im Verhör auch. Ganz alte Schule. „Ihrer Wahrscheinlichkeitsrechnung zufolge gibt es genau einen Menschen, theoretisch gesehen eins Komma null irgendwas, der für die Morde in Frage kommt. Brillant vorgetragen, Frau Kollegin, bloß hat die Sache einen kleinen Haken.“
„Welchen?“ Bela Schmaus wandte sich erstaunt um.
„Unser Mann – wir haben ihn nicht?
„Ich kann Ihnen nur sagen, wie der, den Sie nicht haben, ist, und warum er tut, was er tut. Räuber und Gendarm spielen müssen Sie schon selbst.“
„Polizist.“
„Polizist?“
„Es muss heißen: Räuber und Polizist. Sie wissen doch, Zusammenlegung der Wachkörper, Gendarmen sind Schnee von gestern.“
Schmaus presste ihre Lippen blutleer und schüttelte den Kopf. „So kommen wir nicht weiter, Herr Kollege.“
„Was schlagen Sie vor?“
„Es geht um die Bedürfnisse. Immer wieder die Bedürfnisse. Der innere Antrieb, die Motivation. Das müssen wir erfor-schen. Wir müssen auf seine Bedürfnisse eingehen und sehen, wie sie zu erfüllen sind.“
„Sie wollen seine Bedürfnisse erfüllen?“ fragte ich entgeistert. „Wollen Sie ihm einen Opferaltar errichten?“
„Unsinn“, rief sie barsch. „Darauf einzugehen und zu sehen, wie sie zu erfüllen sind, heißt noch lange nicht, sie auch zu befriedigen. Aber wir müssen wissen, wie sie zu befriedigen wären. Das macht begangene Taten begreiflich und zukünftige womöglich vorhersehbar.“ Bela Schmaus hatte ein Bild des baumelnden Landesrates aus ihren Unterlagen hervorgekramt, betrachtete es eingehend, legte es, mit der Mappe als Unterlage, offen ins Laub und nahm nun, unter gelegentlichen Kontrollblicken auf die Vorlage, exakt jene
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