zuadraht
haben wir ja im eigenen Land. Nun ja . . .“. Sie sagte es mit einem Seufzer, als ließe sich damit alle Erinnerung an den beklemmenden Gedanken und ihren Auslöser löschen.
„Ich dachte, Sie wären auch eine von . . .“
„Das denken sie alle“, fiel sie mir spitz ins Wort. „Deshalb danke ich der Natur Tag für Tag, dass sie mir den letzten Rest jener Schönheit verwehrt hat, der es Menschen wie Ihnen, Herr Leimböck, unmöglich machen würde, mich ernst zu nehmen.“ Wo eben noch strahlende Sanftmut rundlicher Wangen war, herrschte nun backenknöchrige Scharfkantigkeit.
Ich schwieg.
Auch Bela Schmaus schwieg fortan. Sie umkreiste den Tatort mehrmals, stieg die wenigen Treppen zum Paddlerhaus empor, schlug ein ums andere Mal ihre Mappe auf, sprach leise in ein kleines, weißes Digitaldiktafon und musterte mich aus dem Augenwinkel, wie ich mich, am Murufer kauernd, dem Spiel der Wellen und jenem meiner einzigen Zeugen hingab. Der Entenmutter und ihrer Jungen von Samstagfrüh, die sich willfährig der unbändigen Kraft des Wassers überließen, um es im nächsten Augenblick, mühelos und wie von unsichtbarer Kraft gezogen, stromaufwärts zu durchpflügen.
Neunzig Minuten danach fuhren wir ins Keplergymnasium, wo der Klassenraum der IV B bis auf Widerruf gesperrt geblieben war. Bela Schmaus musterte, blätterte und schwieg, vom Flüstern mit ihrem technischen Freund abgesehen.
Als wir an diesem sonst so sonnigen Montagnachmittag kurz vor fünf, immer noch wortlos, vor der Erlebnisbrauerei Rudolf aus dem Wagen stiegen, die handvoll Schritte auf den Seiteneingang und weiter auf das Schloss Eggenberg zuhielten, grüßte der vom Sonntagsregen entstaubte, gesäuberte Wind mit merklicher Frische. Nicht so die Kassafrau, die, mit einem bärtigen Fünfziger in prall gefülltem Overall in Alltagstratschereien vertieft, uns und unsere Dienstmarken keines Blickes würdigte. Ich für meinen Teil grüßte die beiden Steinfiguren zur rechten Hand, die den Zutritt eines schotterigen Seitenarmes der Zugangsallee säumten und den Weg an einem Pavillon mit Cafebetrieb münden ließen. Ich grüßte sie ganz im Stillen, wie ich es immer tat, nur nicht gestern Mittag, als der erhängte Landesrat im hintersten Parkeck seine letzte Audienz gab und der Nebel den Blick auf alles und jeden trübte. Erst jetzt, gut siebzig Meter vor dem Schloss, gaben die Baumriesen zu beiden Seiten der Allee, von der stürmischen Kraft der Jahreszeit aus ihrem Blätterkleid gefegt, die Sicht auf die schlohweiße Schlossfassade in ihrem prachtvollsten Gewande frei. Dunkelbraune offene Läden an drei Reihen orangefarbener Fenster, vom frühabendlich seidigen Licht, wie das ziegelrotblasse Dach auch, jedes altschmutzigen Tons enthoben; auf der dem Graben vorgelagerten Mauer aus geschichtetem Stein einer meiner heimlichen Verbündeten im Kampf gegen Stinktiere und Kobras – ein weißer Pfau, der mit dem Kopf unablässig auf – und abwippte wie ein Periskop im Dauerbetrieb; verstorbenes Laub zu unseren Füßen sprang im Wirbel einer kleinen Bö munter auf, tänzelte um sich, wippte unrhythmisch dem Boden zu und formte den löchrigen Teppich aus Ockergelb bis Zyanrot an anderer Stelle neu; Knirschen und Knistern von Rollsplitt und welken Blättern unter unseren Tritten. Sonst nichts.
„Es ist dort hinten“, durchbrach ich das Schweigen, am Schloss vorbei ins linke Parkeck deutend. „Die alte Eiche hinter den Weymouth Pinien. Mächtige Genossen, werden bis zu sechzig Meter hoch und fünfhundert Jahre alt.“
Der erste von vier hellen Glockenturmschlägen zur vollen Stunde, gefolgt von fünf dumpfen. Jaaaaaak. Ein kräftiges, durchdringendes, nach unten abschwellendes Ziehen, Pfauenkammwackeln im Wind wie ein gefiedertes Lachen. „Pinus strobus“, sagte Bela Schmaus. „Eine Kiefernart, von Lord Weymouth aus dem östlichen Nordamerika nach Europa gebracht. Wird bei uns als Zierbaum gepflanzt, dient aber auch als Zirbenersatz im Möbelbau?
Die Neunmalkluge macht einen auf Botanik, hätte ich jetzt gerne gedacht, sofort bereit, den Gedanken weiterzuspinnen mit allen Konsequenzen, wie eben der gute Kriminalist jeden Gedanken zu Ende denkt, mit allen erdenklichen Folgen, man weiß ja nie, ehe er ihn weiterverfolgt oder auch ad acta legt. Stattdessen wusste ich nicht, was zu denken war, und schon gar nicht, was zu sagen. Bela Schmaus schien die Situation einmal mehr überlauert zu haben: „Ich sollte Biologin werden und die Baumschule der Eltern
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