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zuadraht

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Titel: zuadraht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kopacka
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Position ein, die auch der tote Landesrat bei seinem letzten Auftritt inne gehabt hatte. Das Kinn zur Brust hinab gesunken, die Hände schlaff an den Lenden entlang baumelnd, spielte sie toter Moser, bloß ohne Seil, ohne Kugelschreiber im Auge und um einen Meter tiefer.
    „Ist das die Art, wie Kriminalpsychologen damit umgehen?“ fragte ich. „Ich meine den Tod. Die einen saufen, die anderen reißen derbe Witze über die Opfer. Wiederum andere schlagen ihre Frauen, weil es sonst keiner tut.“
    Ich hatte einen Blick voller Verächtlichkeit erwartet. Stattdessen verharrte Schmaus in ihrer Toter-Moser-Position, als hätte sie ihr Profileryoga auf eine Metaebene gehievt. Erst nach einem unendlich scheinenden Moment der Reglosigkeit drehte sie den Kopf zu mir und sagte ohne Minenspiel und wechselnden Tonfall: „Opfer haben oftmals großen Einfluss auf ihren Tod?
    „Was?“ rief ich erregt. „Wollen Sie damit sagen, der Moser hat es sich quasi selbst zuzuschreiben, dass er erhängt wurde?“
    „Natürlich nicht“, entgegnete sie mit gleich bleibender Monotonie. „Aber die Reaktionen der Opfer bestimmen mitunter maßgeblich, dass eine Tat verläuft, wie sie eben verläuft. Und dabei womöglich ganz anders als geplant. Will ich die Bedürfnisse des Täters kennen, muss ich wissen, ob er seine Tat nach Plan umgesetzt hat oder nicht. Dazu muss ich alle möglichen Opferreaktionen in Betracht ziehen, verstehen Sie? Ich muss alles vom Opfer wissen, um auch über den Täter lernen zu können?
    „Was ist, wenn unser Mann, wie Sie sagen (obwohl man ja nie weiß, dachte ich), seine Bedürfnisse bereits erfüllt hat? Wenn er sein Ziel erreicht hat?“
    „Sie meinen, dass er aufhört?“
    Ich nickte.
    „Sehr unwahrscheinlich. Die meisten Serientäter hören erst auf, wenn sie gefasst oder tot sind. Aber selbst wenn – spielen wir die Szenerie durch. Was war dann sein Ziel? Warum tötet man zwei Politiker und einen Lehrer, jedes Mal auf ganz spezielle und teils doch recht perfide Weise? Welchen Einfluss haben diese Opfer auf den Täter gehabt, der sie letztlich zu Opfern gemacht hat? Ist es Rache? Wenn ja, wofür? Für eine Tat, die einen selbst betrifft? Oder andere? Oder geht es um Verhaltensweisen, die die Opfer gemeinsam haben? Etwa weil sie unehrlich sind? Weil sie betrügen? Weil sie machtbesessen sind? Weil sie als ein paar wenige über das Leben vieler bestimmen? Als Politiker ebenso wie als Lehrer? Töte ich drei Menschen, die Einfluss auf andere ausüben, stellvertretend für das Böse, das ihr Berufsstand symbolisiert, um dann plötzlich aufzuhören? Absurd, finden Sie nicht? Wo doch so viele der verhassten Spezies noch umherlaufen.“ Mein Schweigen war Bela Schmaus Reaktion genug. „Oder gibt es doch ganz persönliche Berührungspunkte?“, fuhr sie fort. „Will unser Mann es bei den drei Morden belassen, so ist das Umfeld der Opfer mit all seinen Gemeinsamkeiten äußerst wichtig. Aber daran arbeiten Ihre Leute ja, richtig?“
    „Richtig.“ Für einen langen Augenblick kehrte neuerliches Schweigen ein, vom stoßartigen Rascheln aufgeworfener Blätter sanft durchbrochen. „Wenn es also weitergeht. . .“, setzte ich an, „. . .vielleicht ertränkt er dann beim nächsten Mal einen Bademeister, weil die immer so laut pfeifen, wenn einer vom Beckenrand reinköpfelt“, sagte ich.
    Bela Schmaus lachte hell auf. „Denkbar ist alles“, sagte sie. „Was sich so in den Hirnen abspielt.“ Sie hielt kurz inne und musterte mich. „Ich meine, was im Hirn eines Serienmörders vorgeht, ist in der Regel viel komplexer als die Gedanken herkömmlicher Täter. Serienmörder haben so gut wie nie persönliche Beziehungen zu ihren Opfern. Vielleicht zu einem, aber niemals zu allen.“
    Da hat sie schon Recht, die Gute, dachte ich, weil das Morden früherer Tage noch in geordneten Bahnen verlaufen ist, da ist aus Wut erschlagen, aus Eifersucht vergiftet, aus Rache erdolcht, aus Neid erschossen worden, und aus Gier erst recht, da hat es noch Morde mit echten Motiven gegeben und neun von zehn geklärte Fälle. Aber heute?
    „Es wird immer mehr an Unbekannten gemordet“, fuhr sie fort. „Von normalen Empfindungen wie irgendwelchen übersteigerten Gefühlen sind Serientäter meist weit entfernt. Mitleid, Schuld oder Reue spielen keine Rolle. Wer solche Menschen überführen will, muss denken wie sie.“
    „Und Sie können das?“ Der Tonfall, in dem mir diese Worte blitzartig, ungewollt und unbedacht entwischt waren,

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