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zuadraht

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Titel: zuadraht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kopacka
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war nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht Frage, nicht Feststellung, mehr schon fragende Feststellung oder auch feststellende Frage. Ein fünfsilbiges Gemisch aus Unglaube, Unwirschsein und Unsicherheit. Bela Schmaus’ kleine, für solche Vibrationen speziell geschulte Seismographen, wie ich sie seit jeher in den Hörzellen einer jeden Frau vermutete, schlugen sofort an.
    „Natürlich nicht. Wie sollte ich denn als. . . Frau, als nicht einmal dreißigjähriges Dummerchen? Sie bückte sich mit elegantdrahtigem Elan in einem Anflug jugendhafter Dynamik, die sich mir bis dahin nicht erschlossen hatte, nahm Foto und Mappe an sich, verstaute das Bild mit hastigen Bewegungen zuoberst unter dem Deckel, wand den Gummizug mit lautem Schnalzen um den dünnen Karton, warf mir ein aufgesetztes Grinsen zu und stob mit einem Es reicht für heute festen Schrittes davon.
    „Geh Oide, heast, des kannsd doch ned machn“, rief ich und bereute es noch im selben Moment, einmal mehr auf Wolferl Ambros gehört zu haben.
    Bela Schmaus verzögerte ihren Schritt wie das auslaufende Schwungrad einer Schnellzuglokomotive, dampfbetrieben, Baureihe fünfundachtzig, Nachbau, Jahrgang sechsundsiebzig, wie ich vermutete, und wandte sich in Zeitlupe um. „Was kann . . . de Oide ned machn?“ sagte sie akzentuiert.
    „Es ist ein Lied“, hörte ich mich sagen. Ein Sagen wie ein Stammeln. „Ein Lied, mehr an mich als an sonst wen gerichtet.“
    „Dann sollten Sie es auch an sich richten anstatt andere zu richten“, entgegnete Schmaus mit schlagfertiger Eloquenz. „Sie müssen es mir nicht ständig vor Augen führen.“
    „Was?“
    „Dass ich nur als Beraterin hier bin. Ich habe keinerlei Befugnis. Ich weiß das. Aber ich komme auf Empfehlung, und das sollten Sie wissen, Herr Oberstleutnant. Eine Empfehlung, die darauf fußt, dass ich mein Hirn dort habe, wo Menschen wie Sie es bei Menschen wie mir nicht vermuten würden. Schräg oberhalb der Ohren und nicht schräg unterhalb der Nieren.“
    „Darf ich Sie zum Essen . . .“
    „Mein Magen hat noch genug zu verdauen“, fuhr sie dazwischen, „was Sie dürfen, ist, mich bis morgen früh um neun in Ruhe zu lassen und darüber nachzudenken, wie Sie das wieder gutmachen wollen.
    „Oder wenigstens zu ihrem Hotel. . .“
    „Ersparen Sie sich die Mühe. Und mir auch.“ Einen Augenaufschlag danach war das Schwungrad wieder auf Touren.
    *

In der Küche, Montag später Nachmittag
    Als kaufmännischer Lehrling bist du der letzte Dreck. Bei der Polizei war es anders. Da hat mir schon die Schule Spaß gemacht. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass man mich hier zum Helden ausbildete. Zu einem, der später dazu bestimmt ist, Großes zu tun. Wenn die Sache mit der Lehre im Großkaufhaus wenigstens etwas mit Verkaufen zu tun gehabt hätte. Aber nein. Ich war in der Männerabteilung und meine Arbeit bestand hauptsächlich darin, Schachteln zu schleppen, Kleidungsstücke aufzuhängen oder sie abzunehmen und anderswo wieder aufzuhängen. Man ist das letzte Rädchen im Getriebe und den Launen des Vorletzten, der so den Frust über seine eigene unbefriedigende Tätigkeit loswerden will, ausgeliefert. Das vorletzte Rädchen ist dein Vorgesetzter und der hat freie Hand, dich nach Lust und Laune zu schikanieren.
    Meiner hieß Waschinger, ein kleiner, gelbgesichtiger Wicht mit Spitznase und Halbglatze. Klar, dass wir Lehrlinge das W weggelassen haben, wenn wir in seiner Abwesenheit oder hinter seinem Rücken über ihn geredet haben. Für uns war er der Arschinger, der Name hat auch viel besser zu ihm gepasst. Was immer ich getan habe, er war nie zufrieden. Ein Anzug hing immer an der falschen Stelle, die Socken hätte ich aus den Cellophanhüllen nehmen sollen, bevor ich sie aufgelegt habe, einmal hat er sogar befunden, dass meine Haare zu lang seien und er hat mich auf meine Kosten zum Friseur geschickt, der seinen Laden im Kaufhaus hatte. Arschinger, oh wie ich ihn gehasst habe. Natürlich hat es in meinem Leben bis dahin auch andere Menschen gegeben, die mir zuwider waren. Einige Lehrer waren dabei, manchmal auch mein Vater. Aber wirklich tiefen Hass hatte ich bis dahin noch niemandem gegenüber empfunden. Einen Hass, der so stark ist, dass man an Vernichtung lenkt. Arschinger war der Erste.
    Es ist ihm immer wieder gelungen, mich klein und unbedeutend zu machen, ein wertloses Stück Mensch, das nicht einmal gut genug war, andere bedienen zu dürfen. Und wenn ich es loch schaffen sollte, ein Verkäufer zu

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