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zuadraht

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Titel: zuadraht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kopacka
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dass ich der Einzige war, der ihm Futter bringt, war in der Kreatur aber stärker als die Angst vor den gelegentlichen Züchtigungen. Der Hase hat mich stets erwartungsvoll und zutraulich angeglotzt, wenn ich die Käfigtüre geöffnet habe. Das hat meine Verachtung für ihn nur noch gesteigert. Am Tag, an dem mein Vater starb, hat er sich kriecherisch gegen meine Hand geschmiegt, die das Futter in den Käfig gelegt hat. Ich wollte ihn gerade mit der zweiten Hand an den Löffeln packen, als ich ein Geräusch hinter mir hörte. Ich habe genau gewusst, dass es nicht mein Vater sein konnte, weil der um diese Zeit noch im Gericht war, bin daher hochgeschreckt und habe beide Hände rasch aus dem Käfig zurückgezogen. Es war ein Polizeibeamter in Uniform, und ich habe bis heute keine Ahnung, wie er in den Garten gelangen konnte, weil ich überzeugt war, alle Türen abgeschlossen zu haben. Es kam öfter vor, dass Polizisten ins Haus kamen, weil sie dem Richter etwas überbrachten oder ihm etwas Wichtiges mitzuteilen hatten. Deshalb habe ich mich damals rasch beruhigt und dem Mann mitgeteilt, dass mein Vater nicht zu Hause und wahrscheinlich noch bei Gericht sei. Seinen Gesichtsausdruck werde ich nie vergessen. Es war eine Mischung aus Mitleid und Schadenfreude, die mich angeblickt hatte. Mitleid, weil ich ja doch noch ein Kind war und Schadenfreude, weil das alte Scheusal endlich tot war. Er hat es mir knapp und schonungslos gesagt: Es ist leider meine Aufgabe, dir mitteilen zu müssen, dass Doktor Ferdinand Hofer vor etwa einer Stunde bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Dann hat er mich nach meinen nächsten Verwandten gefragt, ich habe Tante Grete genannt, weil es sonst niemanden gegeben hat, und er ist wieder gegangen. Es war keine tiefe Trauer, die ich damals empfunden habe, eher eine Art Erleichterung. Ich war frei und konnte tun, was ich schon immer tun wollte. Zuerst habe ich den Hasen umgebracht. Ich habe ihn erwürgt und unter einer Ribiselstaude begraben. Die neue Freiheit hat sich aber nur auf den Garten beschränkt. Im Haus war Vater nach wie vor allgegenwärtig. Vor allem in der Bibliothek. Hier fühle ich mich heute noch von ihm beobachtet.
    *

Nach dem Umweg eines kleinen Imbisses in der Paulustorkantine (die Neue nahm einen Salat mit Putenstreifen, das fördert das Denkvermögen, sagte sie, während ich dachte: Putenstreifen, das passt genau, und trügen wir beide Uniform, ginge ich nun mit einer Pute auf Streife, schmunzelte ich offenbar nicht nur in mich hinein, wie ihr fragender Blick verriet, entgegnete aber bloß, dass ich in punkto Denkvermögen nur zu bewahren gedenke, was ohnedies im Überfluss vorhanden sei, was niemand besser vermöge als der tote Paarhufer, und wählte das Tagesangebot: Schweinsbraten, Knödel, Krautsalat – die Kruste zu weich; das Fleisch zu faserig; der Knödel zu hart; der Salat recht unbekümmelt zubereitet, aber ansonsten passabel), nach diesem Umweg also saßen wir schweigend in meinem Wagen, ganz ohne Ambros, dem Auf – und Abheulen des Motors bis an die Murpromenade folgend.
    „Man kann einen Tatort eben nur einmal beurteilen“, sagte ich ebendort mit spöttelndem Blick auf die Körperkonturen auf Asphalt und Betonbank, mahnendes Ende des letzten stadträtischen Dauerlaufs, in blasser, vom Wochenendregen verwaschener Kreide, an dem die routinierten Murpromenadengänger achtlos vorüberzogen, als wäre Frank Klausberger nie dagelegen, oder aber immer schon. Bis vor ein paar Tagen ein keuchender, nach Luft ringender Herzschrittmacherpatient, nun aber ein starr umrandeter Schatten, von dem sie auch zu Lebzeiten keine Notiz genommen hatten.
    „Jeffrey Deaver, nicht wahr?“, sagte sie und fügte rasch hinzu: „Glauben Sie den amerikanischen Unsinn, wo Menschen wie dieser Deaver das Versprechen vom Klappentext, die Geheimnisse des Profilings zu lüften, bis zur letzten von sechshundert Seiten und auch darüber hinaus beharrlich nicht einlösen – sich Stattdessen über die eigene Unfehlbarkeit ausbreiten und dafür auch noch jede Menge Tantiemen einstreifen?“
    „Neid auf Erfolg, Prominenz und hohe Auflagen, Frau Kollegin?“
    „Neid? Enttäuschung, Herr Kollege. Enttäuschung. Enttäuschung darüber, dass eine noch so junge Disziplin wie die Kriminalpsychologie nicht heranreifen darf mit aller Behutsamkeit und Zeit, derer sie bedürfte, und Stattdessen der Quote zum Fraß vorgeworfen wird. Auch, nein: gerade aus den eigenen Reihen. Das beste Beispiel dafür

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