zuadraht
übernehmen.“
„Und?“
„Es ist sich nicht ausgegangen?
„Was es?“
„Die Zeit. Vorzeitige Betriebspleite.“
„Na dann“, murmelte ich gedankenlos.
Kurz danach erreichten wir den landesrätlichen Galgen. „Gute Wahl“, sagte Schmaus. „Ich meine . . . für die Inszenierung.“
Ich nickte. Aufs Neue begann Schmaus zu umkreisen, mustern, blättern und flüstern. Ein monotones Klacken, wie Eisen auf Eisen, durch dünnen Gummi gedämpft, rückte näher. Die Metallnoppe einer verstellbaren Krücke, die bei jedem zweiten Schritt unter das Gewicht eines kleinen, gebückten Körpers geriet und am unteren Rand des ausgemergelten Lochs der Rasterung anschlug. Als uns die Alte erreichte, hob sie die zweite Krücke, die der rechten Hand mehr als moralische Stütze zugedacht schien, stocherte in der Luft gegen den Naturgalgen hin, wippte pfauenartig mit dem Kopf auf und nieder und verzog den spärlich bezahnten Mund zu einer hämischen Fratze. Dann humpelte sie davon.
„Er scheint sehr beliebt gewesen zu sein“, sagte Schmaus.
„Politiker“, erwiderte ich.
„Den Akten entnehme ich, dass er mit Blickrichtung Schloss hing“, fuhr sie fort.
„Ja.“
„Gut. Sehr gut“, sagte sie beinahe kryptisch und lispelte erneut in ihr Gerät. „Serienmörder wachsen mit der Aufgabe. Genau darin liegt unsere Chance“, ergänzte sie, wieder zu mir gewandt. „Je perfekter sie zu agieren glauben, desto anfälliger sind sie für Fehler.“
Ich runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen, als hätte ich glasklaren Einblick in ihre Theorie, würde aber meine Zweifel daran hegen.
„Warum tötet er auf genau diese Art und nicht anders? Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht?“
„Unaufhörlich“, sagte ich. „Aber das ist es ja: Es macht keinen Sinn.“
„Noch nicht, Herr Leimböck. Natürlich wäre es einfacher gewesen, den Landesrat Moser ebenfalls zu erstechen. Oder zu erschießen. Stattdessen nimmt er Stockerl und Seil mit in den Wald. Verhältnismäßig großer Aufwand, finden Sie nicht?“
„Natürlich. Was will er uns damit sagen?“, überlegte ich laut.
„Wem gilt diese Aussage? Warum diese Orte? Warum so knapp hintereinander?“ Warum wurden alle drei Morde genau so ausgeführt und nicht anders? Das sind die Fragen, die wir uns stellen müssen, Herr Leimböck. Warum legt der Mörder die Spuren? Und vor allem: Welche Bedürfnisse hat unser Mann?“
„Bedürfnis. Gutes Stichwort“, sagte ich. „Die Sache mit dem Wodka geht mir nicht mehr aus dem Kopf .“
„Wodka? Ach, Sie meinen Martin Hanser und seine Leidenschaft für. . .“
„Absolut. Genau. Halten Sie es für denkbar, dass Hanser nicht als Anstifter oder Komplize mit drinhängt, sondern bloß als, wie haben Sie gesagt, Vasall oder gar Opfer? Damit wäre die Wodka-Sache womöglich hinfällig. Als Spur, meine ich.“
„Keineswegs. Die Kolumnen sind doch von ihm, oder?“
„Sieht danach aus.“
„Eben. Dann muss er zumindest so frisch und firm sein, sie zu schreiben. Ein Trinker auf Entzug schafft das niemals.“ Schmaus trat ein paar Schritte zurück und stand nun mit dem Rücken direkt an dem grünen Maschendrahtzaun, der den Park zur Ostseite hin gegen die Baiernstraße abgrenzt, den Blick auf die Seitenfront des Schlosses gewandt, die umstehenden, jeweils rund zehn Meter vom Mosergalgen entfernten Bäume und deren Umfang beäugend. Sie murmelte etwas wie gutes Versteck im Dunkeln ins Diktafon. „Außerdem, Herr Leimböck“, hob die Neue aufs Neue an, „was ich für möglich halte und was nicht, ist unerheblich. Jemand etwas zuzutrauen, heißt, ihn zu verurteilen. Ich verurteile nicht, ich beurteile. Und zwar menschliches Verhalten. Das ist alles. Wahrscheinlichkeiten sind Ihr Kaffee?
„Natürlich“, murmelte ich, bloß mit der Wahrscheinlichkeit, dachte ich, ist das so eine Sache, weil man ja, wie man weiß, nie weiß.
„Sie kennen doch die alte Rechnung mit Indizien und Wahrscheinlichkeiten, oder?“
„Alte Rechnung?“
Sie zog die Augenbrauen fast bis unter den feuerroten Haaransatz hoch, die Pupillen in Golfballgröße. „Das Beispiel aus dem Lehrbuch.“ Der immer noch lebhafte Wind trug einen Hauch von Entrüstung an mein Ohr. „Das klassische Fallbeispiel mit dem Einbruch: Stadt mittlerer Größe, eine Viertelmillion Einwohner. Ulrich Theodor dringt in ein Einfamilienhaus ein (Ulrich Theodor, da schau her, dachte ich, sie redet in meinem Jargon, damit ich ihr besser folgen kann, sagt also Ulrich
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