Zuckerblut
enttäuschen. Mit den anderen Pflegekräften oder mit meiner Frau und mir hat sie kaum ein persönliches Wort gesprochen. Auch ihren Kolleginnen ist das öfter mal aufgefallen. Es schien so, als wollte sie ihr Privatleben wirklich abschotten. Auch über die langen Urlaubsreisen hat sie nie etwas erzählt. Sie war ja manchmal vier oder noch mehr Wochen weg. Meistens mit der Bahn, glaube ich. Ein paar Mal habe ich ihr sogar unbezahlten Urlaub gegeben, den sie später mit Überstunden wieder ausgeglichen hat. Die anderen Schwestern haben aus dem Urlaub oft Ansichtskarten geschickt, sehen Sie da drüben.«
Weinbrecht zeigte auf eine Pinnwand im Nachbarraum, der wohl als Aufenthaltsraum des Personals diente. Eine Fülle von bunten Karten aus den verschiedensten Urlaubszielen war zu erkennen. »Andrea hat das nie getan. Tut mir Leid, dass ich Ihnen da nicht weiterhelfen kann, aber auch unsere anderen Mitarbeiterinnen wissen sicherlich nicht mehr.«
Lindt wandte sich an seinen Kollegen: »Hat denn die Spurensicherung bei der Wohnungsdurchsuchung Unterlagen über die Reisen von Schwester Andrea gefunden? Ist denen da etwas Besonderes aufgefallen?«
Paul Wellmann schüttelte den Kopf: »Im Bericht steht nichts darüber, aber ...«
»Genau«, sagte Lindt und wie so oft hatten sie denselben Gedanken. »Lass uns noch mal hinfahren und gezielt danach suchen. Für Urlaubsziele haben sich unsere Kollegen sicherlich erst mal nicht interessiert.«
Die beiden Kommissare bedankten sich bei Harald Weinbrecht für die Auskünfte. Lindt reichte ihm gewohnheitsmäßig seine Karte – »falls Ihnen noch etwas Wichtiges einfällt« – und öffnete die Tür, als sein Blick auf den draußen geparkten dunklen Geländewagen fiel.
»Ihrem Auto sieht man die schlechten Straßen auf dem Balkan wirklich an!«, kommentierte er das Bild des stark verschmutzten Fahrzeugs.
»Ach, das ist ja noch gar nichts, alles nur Staub. Auf der Rückfahrt hat uns der Bundesgrenzschutz sogar angehalten und wir mussten die Rückleuchten und das Heckfenster säubern. Zum Glück hat es da unten in Kroatien nicht geregnet, sonst hätten wir eine dicke Schlammschicht rund ums Auto. Die Nebenstraßen sind häufig nicht asphaltiert und voller Schlaglöcher – ein normaler PKW würde das auf Dauer nicht aushalten.«
»Also«, verabschiedete sich Lindt und stieg in seinen von der KFZ-Werkstatt des Polizeipräsidiums gepflegten Dienstwagen, »dann wünschen wir viel Spaß beim Wagenwaschen.
Weinbrecht hob noch grüßend die Hand: »Das werde ich als Nächstes machen, denn bei meinen Patienten kann ich so kaum vorfahren.«
10
»Weitergekommen sind wir jetzt eigentlich gar nicht«, unterbrach Paul Wellmann das Schweigen, als beide während der Fahrt zur Wohnung von Andrea Helmholz ihren Gedanken nachhingen.
Lindt stimmte ihm zu: »In unserem Fall nicht, aber dafür wissen wir jetzt viel über Kriegswaisen in Ex-Jugoslawien.«
»Und einen sauber durchorganisierten Pflegedienst haben wir kennen gelernt. Aber es ist wohl eher ein Wirtschaftsbetrieb als eine Organisation für Nächstenliebe. Wer weiß, vielleicht brauchen wir so was später auch mal.«
»Wahrscheinlich nicht, Paul«, entgegnete Lindt und schmunzelte. »Von uns wird doch erwartet, dass wir bis fünfundsechzig oder noch länger arbeiten und dann schnellstens den Abgang machen. Die öffentlichen Kassen sind leer, Beamtenpensionen bald nicht mehr finanzierbar.«
»Du bist ein alter Schwarzseher, Oskar. Erstens dürfen wir als Polizisten immer noch mit sechzig aufhören und zweitens möchte ich meinen wohlverdienten Ruhestand möglichst lange genießen. Ich könnte die Imkerei noch etwas ausbauen und mit meiner Frau ein paar schöne Reisen machen.«
»Ist das die richtige Reihenfolge? Da bin ich gespannt, was die liebe Gattin dazu sagt. Kann ich mir gerade so vorstellen wie das dann aussieht. Mal könnt ihr nicht wegfahren, weil die Bienen bald schwärmen, mal musst du deine Völker in die Rapsblüte fahren oder in den Schwarzwald, wenn es Tannenhonig gibt.«
»Du hast noch das Honigschleudern vergessen, Oskar und die Arbeiten zum Einwintern.« Wellmann war ganz in seinem Element, wenn es um die Bienenvölker ging, die er in einem kleinen Schuppen im Albtal stehen hatte. Lindt bezog schon viele Jahre seine Honiggläser aus der Hobbyimkerei des Kollegen.
»Auf den Frühstücksbrötchen wollen Carla und ich deinen Honig natürlich nicht missen, aber was unseren Ruhestand angeht, Paul, da träum
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