Zuckerblut
übermäßig schwer ist.«
Sie waren sich einig mit dieser Einschätzung des Sachstandes, informierten die Spurensicherung und nahmen sich dann die Fotos vor.
Bis zum Eintreffen der Kollegen hatten sie die Alben fast durchgeblättert, aber nichts wirklich Bedeutsames gefunden. Familienfotos, Bilder von der Ausbildungszeit, die Andrea Helmholz zusammen mit Kolleginnen zeigte und dann noch einige Fotos, auf denen ihr früherer Freund zu sehen war. Die letzten Bilder schienen vergilbter zu sein, als die anderen. »Bestimmt hat sie diese Seiten häufiger betrachtet«, vermutete Lindt.
»Und auch entsprechend unter der Trennung gelitten«, ergänzte Wellmann.
»Schon denkbar, dass man nach einer großen Enttäuschung gar niemand anderen mehr suchen will und seine ganze Energie in den Beruf steckt.« Für Lindt bestätigte sich der bisherige Eindruck von Schwester Andreas Persönlichkeitsbild immer mehr.
»Kann sein, dass sie sich durch engagierte Berufstätigkeit und lange Urlaubsreisen von ihrem tiefsitzenden Kummer ablenken wollte. Weg, einfach weg, nicht darüber nachdenken.«
»Ja, Oskar, und hier stehen drei Paar intensiv benutzte Joggingschuhe, das würde auch zum Weglaufen passen.«
Im zweiten und dritten Album befanden sich die Fotos der vielen Reisen. Es schien so, als hätte Andrea Helmholz ab und zu jemand Fremden gebeten, sie vor irgendwelchen Sehenswürdigkeiten abzulichten. Vom römischen Kolosseum bis zur kleinen Meerjungfrau von Kopenhagen, von der portugiesischen Atlantikküste bis zur Finnjet-Fähre im Hafen von Helsinki und einem Donau-Passagierschiff vor Budapest waren Schnappschüsse aus ganz Europa zu finden.
»Lass uns die Alben mal einpacken. Ich möchte sie im Büro noch intensiver anschauen«, meinte Lindt, als die zwischenzeitlich eingetroffenen Beamten der Spurensicherung mit ihrer Arbeit begannen. »Dazu brauche ich mehr Ruhe, hier wird’s mir jetzt doch zu hektisch.«
Er nahm sich Zeit, viel Zeit, um alle Bilder aus den drei Fotoalben eingehend zu sichten. Mal mit einem großen Becher voll Milchkaffee, mal mit einer seiner vielen Pfeifen, halb liegend in seinem Schreibtischsessel, die Beine bequem auf einen anderen Bürostuhl hochgelegt, stehend am Fenster, auf und ab gehend mit einem der Alben in der Hand – all das half nichts. Kein noch so kleiner Anhaltspunkt ergab sich, der irgendwie mit der Gewalttat an Andrea Helmholz hätte in Verbindung gebracht werden können.
Abwechselnd betrachteten auch Lindts Mitarbeiter die Fotos, allerdings weniger intensiv als der Chef. Schließlich aber kamen sie alle zu dem Schluss, dass ein Zusammenhang mit den regelmäßigen langen Reisen der Krankenschwester sehr unwahrscheinlich sei. Allenfalls wäre ein Zufall denkbar, Hinweise aber nicht zu finden.
»Also«, meinte Lindt mit beginnend depressivem Klang in der Stimme, »Hinweis ›Urlaubsreise‹ abgehakt, führt uns nicht weiter, aber wo suchen wir dann?«
Mit gespreizten Fingern fuhr er sich durch die Haare. Tiefe Falten zerfurchten seine Stirn.
»Privatleben!« Jan Sternberg warf dieses Stichwort in die Diskussion. »Sie muss doch nicht nur im Urlaub, sondern auch daheim ein Privatleben gehabt haben.«
»Sportlich aktiv war sie ja – zumindest nach den stark benutzten Joggingschuhen zu schließen, ist sie intensiv gelaufen«, meinte Paul Wellmann. »Allerdings hat sie das bestimmt alleine gemacht und nicht in einer Gruppe, sonst hätten wir darüber auch schon Hinweise bekommen.«
»Richtig, Paul«, nickte der Kommissar. »In einer großen Stadt wie Karlsruhe ist es eben durchaus möglich, anonym zu leben. Du kannst doch freizeitmäßig alles Mögliche machen, Schwimmen, Kino, Theater, Konzerte, und ... und ... und ... Wenn du nicht willst, musst du dich mit niemandem unterhalten oder etwas mit anderen zusammen machen. Es ist halt nicht so, wie auf dem Land.«
»Ja, dort tut sich sogar die Polizei leichter«, seufzte Jan Sternberg. Er hatte erst kürzlich mit einem Kollegen gesprochen, den er von der Ausbildung her kannte und der seit einigen Jahren an einem Zwei-Mann-Polizeiposten im Odenwald Dienst tat. »Dort liegt zwar wirklich der Hund begraben, aber die Aufklärungsrate ist phänomenal hoch.«
»Ist doch klar, Jan, jeder kennt jeden«, kommentierte Wellmann den Bericht seines Kollegen, »aber mal ganz ehrlich, möchtest du dein dienstliches Leben mit der Aufklärung von Schafdiebstählen und Körperverletzungen beim Feuerwehrfest zubringen. Ich meine, wir hätten
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