Zuckerblut
wollte.
»Wo sollen wir suchen, wo finden wir ihn am ehesten?« Lindt stellte diese Frage mehr an sich selbst, als an die anwesenden Kollegen.
»Er musste ja damit rechnen, dass sein Verschwinden innerhalb einer Viertelstunde entdeckt würde«, überlegte Paul Wellmann.
»Und ...?«, fragend schaute Hauptkommissar Lindt zu den beiden Uniformierten. »Was hätten Sie an seiner Stelle gemacht?«
»Ja ... also ... ich ...«, begann der eine zu stottern, aber der andere antwortete schnell: »Weg, nichts wie weg. So schnell und unauffällig wie möglich.«
Sein Kollege ergänzte: »Am besten mit der Straßenbahn. Untertauchen irgendwo in einer Menschenmenge.«
»Also auf geht’s, vielleicht steht er noch an der Haltestelle!« Der Kommissar hielt das zwar nicht für wahrscheinlich, aber so konnte er die beiden wenigstens loswerden.
So schnell wie möglich entfernten sich die zwei Uniformierten.
Lindt ergänzte die von Paul Wellmann veranlasste Fahndung noch mit der Überwachung aller in Frage kommenden Stadtbahnen und des Hauptbahnhofes. Gleichzeitig wurde ein Bild Weinbrechts, das Jan Sternberg bei seiner Computerrecherche gespeichert hatte, zu den Polizeidienststellen der Umgebung gemailt.
Über Funk ging eine detaillierte Personenbeschreibung an alle Einsatzkräfte und jedes verfügbare Fahrzeug wurde in die Umgebung des Städtischen Klinikums beordert, um dort Streife zu fahren.
Die Taxizentrale informierte alle ihre Wagen im Stadtgebiet und sogar die Rettungsleitstelle gab die Meldung an die Fahrer der Krankenwagen weiter.
Die lokalen Radiosender brachten alle Viertelstunde einen Aufruf an die Bevölkerung und meldeten, dass ein unter dringendem Tatverdacht stehender Untersuchungshäftling aus dem Krankenhaus geflohen sei.
Nichts hasste Oskar Lindt so sehr, wie wenn derartige Pannen in der Öffentlichkeit bekannt wurden, aber in diesem Moment war die Polizei auf die Mithilfe aufmerksamer Bürger angewiesen.
Eine Hundertschaft der Bruchsaler Bereitschaftspolizei suchte das ganze Areal des Klinikums ab, denn zumindest theoretisch bestand ja die Möglichkeit, dass sich Weinbrecht noch in irgendeiner Besenkammer versteckt hielt, um abzuwarten, bis der Sturm sich gelegt hatte.
Die beiden Kommissare verfolgten die Jagd nach dem Flüchtigen von der mobilen Einsatzzentrale aus. Der mit modernster Funk- und Kommunikationstechnik ausgestattete Transporter wurde auf dem Klinikumsgelände stationiert und diente als Koordinationsstelle für alle an der Suche beteiligten Kräfte.
Die einzige positive Nachricht war der Anruf von Staatsanwalt Tilmann Conradi. Es war ihm tatsächlich gelungen, für den Rechtsanwalt Baumbach einen Haftbefehl zu bekommen.
›Unter Zurückstellung größerer Bedenken‹, hatte es der Richter formuliert, als er unterschrieb. Zwar sei die Beweislage ziemlich dürftig, aber zutrauen würde er es diesem Winkeladvokaten, seinen eigenen Onkel aus Geldgier vorzeitig ins Jenseits zu schicken.
Gezielt hatte Conradi einen Richter ausgewählt, für den der Name Baumbach schon sehr negativ vorbelastet war.
Vor einigen Jahren war gegen eine Gruppe von Autoschiebern verhandelt worden. Baumbach verteidigte die drei aus dem Halbweltmilieu stammenden Berufsganoven und konnte mit so vielen gekauften Entlastungszeugen aufwarten, dass nur ein Freispruch übrig blieb.
Der ›Kurze‹ vertrat in jenem Prozess die Anklage und war sich mit dem Richter einig, dass die drei sicherlich schuldig waren und die Taten begangen hatten. Nur aufgrund der Zeugenaussagen kamen sie wieder auf freien Fuß.
Das vergaßen weder Richter noch Staatsanwaltschaft und wegen akuter Flucht- und Verdunkelungsgefahr wurde der Gangsteranwalt nun erst einmal für unbestimmte Zeit festgesetzt.
Sein üblicherweise zur Schau gestelltes Dauerlächeln verging ihm angesichts des Haftbefehls schlagartig. Er wandelte seinen Charakter in Sekundenschnelle und stieß die wüstesten Drohungen aus, doch es half ihm nichts – der Transport in die JVA Bruchsal war schon bestellt.
Lindt konnte eine gewisse Genugtuung nicht verhehlen, als ihm Conradi am Telefon die Einzelheiten berichtete.
»Wäre denn eine Durchsuchung von Baumbachs Kanzlei und Wohnung auch noch denkbar?«, fragte er spontan, doch davon wollte der Staatsanwalt im Moment noch nichts wissen. Das müsse er erst ganz gründlich abklären.
»Typisch Juristen, trauen sich wieder nicht«, meinte der Kommissar, als er nach dem Telefonat seinem Kollegen die erfreulichen Neuheiten
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