Zuckerguss (German Edition)
weiter!«
Wir erreichen die Veranda. Erschöpft lasse ich mich auf die oberste Stufe plumpsen, ich fühle mich wie nach einem Halbmarathon. Dabei sind wir höchstens fünfzehn Meter gegangen. David setzt sich zu mir und betrachtet mich kopfschüttelnd. Er sollte besser den Mund halten. Ich weiß selber, dass ich morgen einen Hangover vom Feinsten haben werde. Von Champagner. Das muss man sich mal vorstellen!
»Was findest du bloß an ihr?«, plappere ich hemmungslos in meinem Alkoholrausch weiter. Ich lege den Kopf in den Nacken und betrachte Davids Profil im Halbschatten.
»Du bist eifersüchtig!« Er lächelt.
»Das hättest du wohl gerne.« Ich tippe mit meinem Finger auf seine Brust. »Ich kenne sie nur besser als du.«
»Tatsächlich?«
»Ganz genau.«
»Und du machst dir nun Sorgen, dass ich Interesse haben könnte?«
Ich glotze ihn leicht benebelt an. »Nee.«
»Natürlich nicht.« Er nickt ironisch. »So gern ich diese Diskussion mit dir weiterführen möchte, ich sollte jetzt besser gehen. Deine Mutter guckt schon so komisch«, meint er mit einem Wink in Richtung der gläsernen Verandatür, wo meine Mutter uns neugierig beobachtet. Privatsphäre ist in diesem Hause in der Tat ein Fremdwort.
»Okay.« Ich halte ihn am Ärmel zurück, als er sich erheben will. »Danke für … du weißt sch-schon«, stottere ich angeheitert.
David beugt sich zu mir herunter und umfasst meinen Kopf mit beiden Händen. Ich schlucke heftig. Mit einem Schlag bin ich nüchtern.
Wird er mich küssen?
Und will ich, dass er mich küsst?
Unruhig rutsche ich auf der Stelle hin und her. Seine Lippen nähern sich meinem Mund, und ich schließe gegen meinen Willen die Augen. Doch statt meine Lippen zu küssen, gibt er mir einen sanften Kuss auf die Stirn. Überrascht öffne ich die Augen und blicke ihn leicht verschwommen an.
»Gute Nacht.«
Ein Flüstern.
Dann ist er verschwunden.
Ich fahre mit meinen Fingern über die Stelle, wo sein Mund eben noch meine Stirn berührt hat. Es ist falsch, und zwar auf mehr als nur einer Ebene, aber irgendwie bin ich enttäuscht.
»Also, ein wenig herzlicher hättest du dich schon von David verabschieden können«, reißt mich meine Mutter aus meiner Starre.
»Wärst du zufrieden gewesen, wenn ich öffentlich mit ihm rumgemacht hätte?«
»Werd bitte nicht gleich aggressiv!«
»Bin ich doch gar nicht.«
»Doch!«
Meinetwegen.
»Du hast dich den Tag über fast gar nicht um David gekümmert«, wirft sie mir vor. »Habt ihr immer noch Streit?«
Sah das eben wie Streit aus? »Mutter, David hatte einen Job zu erledigen. Du erinnerst dich?«
Mama stemmt die Hände in die Hüften. »Bist du deswegen so nachtragend? Ich habe ihm extra gesagt, dass er sich den Rest des Abends freinehmen kann, damit ihr Zeit miteinander verbringen könnt.«
»Hm.«
»Wo ist das Problem?«
»Es gibt keines, Mama. Alles in bester Ordnung«, versichere ich ihr so überzeugend wie nur irgend möglich.
»Seht ihr euch morgen?«
»Mal sehen«, meine ich vage. Schließlich kann ich ihr schlecht sagen, dass ich morgen Nachmittag bereits wieder im Zug nach Hannover sitze. Und dass David meinen Freund bloß gespielt hat.
Sie klatscht erfreut in die Hände. »Du könntest ihn morgen zum Abendessen mitbringen. Dein Vater und ich würden uns freuen.«
Noch ehe ich Einspruch erheben kann, ist meine Mutter im Haus verschwunden. Ich bin mir nicht sicher, ob ich lachen oder weinen soll.
Wahrscheinlich beides.
9
Total verkatert schleppe ich mich am nächsten Morgen in die Küche. In meinem Kopf dröhnt es wie auf einer Großbaustelle, mein Magen fährt Achterbahn mit Fünffach-Looping und meine Zunge fühlt sich an wie Krepppapier. Mir ist so schlecht wie lange nicht mehr.
Am Küchentisch sitzen meine Eltern beim sonntäglichen Frühstücksbrunch. Mein Vater hat sich hinter der Zeitung verschanzt, meine Mutter blättert in einer Broschüre über die Insel Hiddensee.
»Guten Morgen«, nuschele ich und beginne ächzend die Schubladen nach dem Aspirin abzusuchen. Mindestens viermal im Jahr räumt meine Mutter sämtliche Schrank- und Schubladeninhalte aus und um. Für sie ist das eine meditative Aufgabe, für die anderen Familienmitglieder vorverlegte Ostern.
»Rechts neben der Spüle«, kommt es von der Zeitung.
Ich öffne die besagte Schublade und entnehme der Packung zwei Aspirin. Mit einem Glas Wasser setze ich mich zu meinen Eltern an den Tisch. Die Tabletten fallen mit einem lauten plopp! ins Wasser und
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