Zuckerguss (German Edition)
theoretisch.
»Also eigentlich muss ich heute Nachmittag wieder in Hannover sein«, entgegne ich und hoffe, dass man mir die Lüge nicht an der Nasenspitze ansieht.
Meine Mutter zieht die Stirn kraus. »Seltsam. Eva meinte gestern zu mir, dass du dir einige Tage freigenommen hast. Kannst du nicht bleiben? Mir zuliebe? Bitte, Miriam. Betrachte es als Urlaub. David würde sich garantiert freuen, wenn er dich länger um sich hätte.«
Mir klappt der Mund auf. Urlaub? David? Ich bin wohl im falschen Film! »Ich habe einen wichtigen Termin«, beeile ich mich zu sagen, bevor meiner Mutter zehn weitere Gründe zum Hierbleiben einfallen.
»Am Sonntag?«, kommt es von meinem Vater. Gemeinsam mit meiner Mutter wechselt er diesen speziellen Wir-glauben-dir-kein-einziges-Wort-Kind-Elternblick.
»Morgen früh. Ich muss mich noch vorbereiten.«
»Vorbereiten für was?«, echot meine Mutter und sieht mich durchdringend an.
Ich versuche, mich hinter der Kaffeetasse zu verstecken und meinen Eltern nicht in die Augen zu schauen. »Ich habe ein Vorstellungsgespräch«, behaupte ich, ohne mit der Wimper zu zucken.
Mein Vater mustert mich mit hochgezogenen Augenbrauen. Verblüffung und Abneigung wechseln sich in seinem Gesicht ab. » Ein Vorstellungsgespräch? « Er speit das Wort regelrecht aus. »Ich dachte, du hättest einen festen Job.«
»Nein. Ja. Ich … ich will mich beruflich … verändern«, stammele ich eingeschüchtert und wundere mich selbst am allermeisten, was ich für einen Unfug zusammenlüge.
Mit knallrotem Kopf springt mein Vater von seinem Stuhl auf. » Du willst was? « Er ist auf zweihundert.
Ich verkrieche mich eine Nuance tiefer in die Sitzpolster, um dem aufkommenden morgendlichen Donnerwetter zu entgehen. Ein sinnloses Unterfangen.
»Konrad, beruhige dich.« Mama tätschelt seinen Arm. Falls sie schockiert sein sollte, lässt sie es sich jedenfalls nicht anmerken.
Papa schnaubt verächtlich. »Wie soll ich mich beruhigen, wenn meine Tochter mir eröffnet, dass sie ihr Leben nach wie vor nicht in die richtige Bahn gelenkt hat. In ihrem Alter waren wir verheiratet, hatten ein Kleinkind und du warst erneut schwanger, Susanne.«
Das musste ja kommen!
Unwillkürlich verdrehe ich die Augen.
»Das waren andere Zeiten«, merkt meine Mutter an, und ich staune erneut, dass sie sich auf meine Seite schlägt. Tut sie wahrscheinlich nur, weil sie was von mir will.
»Trotzdem«, beharrt mein Vater auf seinem Standpunkt. »Unsere Tochter glaubt, das Leben ist ein Zirkus. Den Kopf in den Wolken, die Füße drei Meter über dem Erdboden. Frei nach dem Motto, es wird sich irgendwie alles finden. Oder auch nicht. Mal abwarten.«
»Stimmt doch gar nicht«, platze ich ärgerlich heraus.
»Nein?« Er funkelt mich wütend an.
»Nein. Ich möchte bloß erst alles ausprobieren, bevor ich mich festlege.« Selbst in meinen Ohren klingt das lahm.
Mein Vater lässt sich wutschnaubend auf seinem Stuhl nieder und schiebt angewidert den Frühstücksteller von sich. »Was hast du denn bisher vorzuweisen, junge Dame? Die Bäckerlehre hast du abgebrochen, das BWL -Studium auch. Dann kommst du mit dem Hirngespinst Germanistik und Soziologie an. Und statt nun endlich Karriere zu machen, jetzt das. Ich glaube, ich spinne!«
Ich balle meine Hände zu Fäusten, bis die Fingerknöchel weiß hervortreten. »Du tust gerade so, als wollte ich ehrenamtlich eine Expedition in den Himalaja veranstalten«, rufe ich frustriert.
»Nun werd nicht unsachlich!«
Ich beiße heftig die Kiefer zusammen.
»Sag mal, Miriam«, schaltet sich Mama vermittelnd in das Gespräch ein, »was machst du überhaupt beruflich? Du hast gar nichts erzählt.«
»Das würde mich allerdings auch interessieren«, grummelt mein Vater.
Ich drehe Däumchen!, möchte ich ihnen am liebsten entgegenschleudern. Tue ich selbstredend nicht. Stattdessen verschränke ich die Arme vor der Brust und blicke finster drein. Ich habe so dermaßen keine Lust mehr auf dieses Theater. Mir reicht es! Was wollen meine Eltern eigentlich von mir hören? Dass ich eine Top-Position im Managerbereich innehabe? Vermutlich. Alles andere wäre wohl kaum akzeptabel. Schließlich wollen sie sich vor Tante Gloria und deren unfassbar erfolgreicher Karrieretochter Luisa profilieren. Da passt eine missratene Tochter wie ich natürlich nicht ins Konzept. Möchte mal ihre Gesichter sehen, wenn sie wüssten, dass ich mindestens zwei weitere Semester an der Uni hocken werde. Papa bekäme garantiert
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