Zuckerguss (German Edition)
nicht die Wahrheit gesagt?«
Natürlich kann ich Regine schlecht sagen, dass ich es aus genau demselben Grund nicht getan habe, weshalb ich ihnen meine berufliche Zukunft vorenthalte. Doch diese Offenbarung wäre sogar für Regine zu viel des Guten. Sie hat eine Menge Verständnis für mich, aber so weit reicht es nicht. So wie ich sie einschätze, findet sie bereits diese Lüge nicht gut. Und höchstwahrscheinlich wünscht sie sich, dass ich es ihr nie erzählt hätte. Immerhin beschwindelt sie ihren Arbeitgeber, meinen Vater.
»Na ja«, meine ich zögerlich, »anfangs hatte ich wirklich überlegt, ihnen reinen Wein einzuschenken. Aber als meine Mutter sich erwartungsvoll nach meinem Freund erkundigte, habe ich kalte Füße bekommen. Meine Schwester hatte ohnehin bereits ausgeplaudert, dass ich meinen Freund mitbringen würde. Also war’s eh egal. Ich wollte mir einfach nicht die Blöße geben, mit achtundzwanzig immer noch Single zu sein.«
Regine runzelt die Stirn.
»Eine Schwachsinnsidee«, gebe ich unumwunden zu. »Du musst mir keinen Vortrag darüber halten, dass die Aktion böse nach hinten losgehen kann. Das weiß ich selber.«
»Dann ist ja gut.«
Die Ladenglocke erklingt, und eine munter drauflosplappernde junge Familie tritt herein. Regine erhebt sich, nicht ohne noch einmal den Kopf zu schütteln, und wendet sich der Kundschaft zu. Die Zwillingsmädchen pressen ihre Nasen an der Tresenscheibe platt und bedeuten ihren Eltern gestenreich, was sie sich für Leckereien ausgesucht haben. Mama und Papa kaufen statt Schaumküssen jedoch ganz traditionell Amerikaner und Schweineohren. Die beiden kleinen Mädchen schauen bedröppelt drein. Vermutlich dauert es keine zehn Sekunden, bis eines von beiden losheult. Blitzschnell packe ich zwei Schokoladen-Schaumküsse auf einen Pappteller und reiche sie den zweien. Mit großen Augen starren sie mich an, die Eltern gucken böse. Ich nuschele schnell was von »Kindertag, gratis und Freude machen«. Erst im Nachhinein fällt mir auf, dass Kindertag bereits am 1. Juni war. Huch. Immerhin sehen Mami und Papi mich etwas versöhnlicher an und verlassen mit zwei strahlenden Kindern die Bäckerei.
»Das war wirklich nett von dir. Aber lass das besser nicht deinen Vater oder Alexander sehen«, meint Regine.
Ich bin drauf und dran zu sagen, dass die beiden mich mal können, verkneife es mir jedoch.
»Wo du dein Talent mit schwierigen Kunden unter Beweis gestellt hast« – Regine lächelt verschwörerisch –, »magst du mich heute Nachmittag für zwei Stunden vertreten?«
»Iiiiiich?«
Sie sieht mich bittend an. »Ich habe einen Arzttermin, den ich nur ungern absage. Konrad und Alexander wissen Bescheid. Eigentlich wollte Alexander mich vertreten, denn Julie, unsere Gelegenheitsaushilfskraft, hat Sommergrippe. Alexander ist allerdings noch mit Auslieferungen beschäftigt. Und nun ja, wo du schon mal da bist …« Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich diesen Satz in nächster Zeit öfter zu hören bekomme. »Du bist im Laden groß geworden, kennst dich aus. Es gibt keine bessere Vertretung als dich«, schleimt Regine, in der Hoffnung, dass das bei mir zieht.
Entschieden wiegele ich ab. »Nein!«
»Miriam, bitte.«
»Nein!«
Ich mag Regine. Wirklich. Aber den Gefallen tue ich ihr nicht. Nein, nein, nein. Kommt nicht in Frage. Nach all den bösen Worten vom Wochenende spiele ich sicher nicht Verkäuferin. Das wäre ja noch schöner! Am Ende muss ich mir womöglich von meinem Vater anhören, dass ich das Geschäft ruiniert habe. Danke, darauf kann ich verzichten! Und das sage ich Regine auch.
»Du benimmst dich wie ein trotziges Kind«, entgegnet sie, die Arme in die Hüften gestemmt.
»Tue ich nicht!«
Sie guckt mich streng an. Widerstand zwecklos, soll das wohl heißen.
»Na gut!«, knirsche ich.
Pünktlich zu Beginn der Nachmittagsschicht stehe ich wie versprochen hinter dem Ladentisch. Ich frage mich immer noch, wieso ich mich zu diesem Mist habe breitschlagen lassen. Wenigstens bin ich aus der Schusslinie meiner Mutter. Sie hat es sich am Mittagstisch nicht nehmen lassen, mich über meine Beziehung zu David gründlich auszufragen und mich alle fünf Minuten mit der Essenseinladung an ihn zu nerven. Immerhin müsse man David als zukünftige Schwiegereltern (kreisch!) besser kennenlernen. Nachdem es ihm zu verdanken sei, dass ich nicht als alte Jungfer (doppelkreisch!) enden werde. Ich aß schweigend meinen Rucolasalat und kam zu dem Schluss, dass ich im
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