Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zuckerguss und Liebeslieder Roman

Zuckerguss und Liebeslieder Roman

Titel: Zuckerguss und Liebeslieder Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosie Wilde
Vom Netzwerk:
Chef?«

    Etwas blitzt in seinen Augen auf und sagt mir, dass ich seine Aufmerksamkeit geweckt habe. »Ja. Er heißt Graham und leitet das Londoner Büro. Äh, hat es geleitet. Und ich war seine rechte Hand. Und Graham wäre sicher sehr verstimmt, wenn er erführe, dass ich den weiten Weg bis hierher gekommen bin und Wyatt nicht einmal zu sehen bekommen habe. Graham zählt zu den hundert wichtigsten Menschen in der Musikindustrie.« Ich bemühe mich um einen leicht bedrohlichen Ton.
    Er weist mit dem Kopf zum Farmhaus. »Kommen Sie besser mal rein.«
    Es hat funktioniert! So muss sich Phoebe fühlen, wenn sie Angst und Schrecken verbreitet, bis die Leute nach ihrer Pfeife tanzen. Ich folge ihm und ziehe meinen Rollkoffer hinter mir her. Er nimmt ihn mir wortlos ab und drückt die Haustür auf.
    Wir treten in ein geräumiges Zimmer mit hoher Balkendecke und einem riesigen gemauerten Kamin, in dem ein Feuer brennt. Das hatte ich mir völlig anders vorgestellt. Keine leeren Flaschen, Pizzakartons oder überquellenden Aschenbecher in Sicht. Alles blitzsauber - nicht das kleinste Fleckchen auf den beiden großen Fenstern, der Fußboden wie geleckt, und ich spreche immerhin als so etwas wie eine Expertin auf dem Gebiet der häuslichen Hygiene. Über dem Kamin hängt ein antiker Bogen samt Pfeil, ein Schränkchen aus Eichenholz beherbergt eine ultramoderne HiFi-Anlage, und ich entdecke Fotos von Wyatt mit seiner Familie und der Band. Vor dem Kamin sind drei Riesensofas in U-Form gruppiert, und an der rückwärtigen Wand steht ein überdimensionaler Flachbildschirmfernseher. Ein goldgelber Labrador döst auf einem Schaffell neben dem Kamin.

    Vom Feuer duftet es nach Apfelholz, von den breiten, dunkel glänzenden Dielen nach Bienenwachs. Offenbar kann Wyatt sich eine Haushälterin leisten.
    Der Farmmensch hat die Handschuhe ausgezogen und seinen Arbeitsoverall aufgeknöpft.
    »Sollten Sie Wyatt nicht vielleicht Bescheid geben?«, frage ich leicht gereizt.
    Er lässt seinen halb abgewickelten Schal fahren und grölt zu den Dachsparren hinauf: »Wyatt. Hey! Wyatt.« Dann schlendert er in die Küche, und ich folge ihm. Heiliges Kanonenrohr. Von so einer Küche habe ich immer geträumt. Arbeitsflächen aus Granit, eine Kochinsel, zwei Spülen, ein Profiherd mit sechs Flammen, an einem Gestell aufgehängte Kupferpfannen und eine eingebaute Mikrowelle. Doch bei allem Luxus muss ich die traurige Feststellung machen, dass Wyatt offenbar keine Achtung bei seinen Angestellten genießt - ein verbreitetes Phänomen unter Alkoholikern -, denn der Bauerntölpel da kocht sich ungeniert eine Kanne Kaffee und wärmt eine Portion Apfel-Hafergrütze in der Mikrowelle auf.
    Ich beschließe, ihn mit ein bisschen lockerem Geplauder bei Laune zu halten, während wir auf Wyatt warten. Vielleicht fühlt er sich von mir ja ein wenig eingeschüchtert. Vermutlich hat er bisher noch nicht allzu viel Kontakt mit Frauen in Führungspositionen gehabt. »Und, haben Sie augenblicklich auf der Farm viel zu tun?«, frage ich freundlich, ohne ihn meine Absichten merken zu lassen.
    »Nein.«
    Hmmm. Er zählt eindeutig zu den Typen, die am liebsten mutterseelenallein auf einem Traktor hocken.
    »Ich nehme an, Sie werden sich bald ans Pflügen machen«, taste ich mich weiter vor.

    »Nein. Boden ist gefroren.«
    »Oder ans Futtersilo?«, versuche ich es aufs Geratewohl.
    »Nein. Ist gefroren.«
    »Die Scheune streichen?«
    »Nein. Farbe ist auch gefroren.«
    Also mal ehrlich, wenn er nicht so ein Landei wäre, das keine Ahnung hat, wie es in der Welt zugeht, würde mich der Verdacht beschleichen, dass er sich über mich lustig macht.
    Schweigen. Dann fragt er: »Was machen Sie in London?«
    Was geht Sie das an, hätte ich darauf gerne gesagt. Aber ich will ihn nicht verschrecken. Wahrscheinlich ist er sein Lebtag noch nicht aus Barnsley herausgekommen, darum formuliere ich meine Antwort so, dass er sich darunter etwas vorstellen kann. Und drossle mein Sprechtempo. »Ich arbeite in einem großen Büro mitten in London. Ich fahre mit dem Zug dorthin. Sind Sie schon einmal in einer Großstadt gewesen?«
    Er sagt nichts, nimmt stattdessen die Schüssel aus der Mikrowelle. Vielleicht verlangen solch einfache Aufgaben ihm ja seine volle Konzentration ab.
    »Oder sind Sie lieber hier auf der Farm?«
    »Genau.«
    »Sehr weise«, sage ich gönnerhaft. »Auf diesen großen Flughäfen verläuft man sich so leicht.«
    »Graham ist also nicht mehr da?«, fragt er.
    Graham.

Weitere Kostenlose Bücher