Zuckerguss und Liebeslieder Roman
Wäsche zu konzentrieren. Ich bin schrecklich hintendran. Eigentlich sollte ich längst mit Packen fertig sein - schließlich sind es nur noch siebzehn Stunden, bis ich mich zum Flughafen aufmachen muss -, aber irgendwie kann ich mich nicht motivieren, damit anzufangen. Stattdessen setze ich die Waschmaschine in Gang und mache mich an einen kleinen Frühjahrsputz. Gerade behandle ich auf allen vieren den Schlafzimmerboden mit
dem Allzweckpoliturspray, Duftnote Orange (leider habe ich kein Bohnerwachs), da kommt Gerry zur Tür herein.
»Hey, Prinzessin«, ruft er. »Wo bist du?«
Ich komme unter dem Bett hervor und flitze die Wendeltreppe hinunter.
Gerry steht unten, in der einen Hand Pizza, in der anderen eine Flasche Wein. »Ich kann auch gerne raufkommen«, sagt er mit einem lausbübischen Grinsen.
»Das wird nicht nötig sein«, sage ich streng.
Gerry tut, als würden ihm die Knie weich. »Ich wette, die Kerls in England drehen durch, wenn du so redest.«
Ich belasse es bei einem geheimnisvollen Lächeln, statt ihn darauf hinzuweisen, dass mein Akzent im Vereinigten Königreich nun wirklich nichts Ungewöhnliches ist.
Gerry geht in die Küche, vermutlich auf der Suche nach einem Korkenzieher. »Konnte doch so eine schöne Frau nicht ganz allein hier sitzen lassen«, ruft er. »Bin auf der Zufahrt gerade an Wyatt und dem Typ mit dem Spitzbart vorbeigekommen.«
»Bruce.«
Gerry kommt ins Wohnzimmer zurück und öffnet die Weinflasche. Ich schätze, Wyatt und Bruce sind auf dem Weg zu einem AA-Treffen, aber das binde ich Gerry nicht auf die Nase. Dank der Broschüre weiß ich, wie wichtig es ist, Anonymität zu wahren.
Zum Glück sagt Gerry nichts weiter zu dem Thema, sondern pfeffert seine braune Lederjacke quer über einen Stuhl, zieht mich aufs Sofa und küsst mich fünf Minuten lang, um mir danach ein Glas Wein zu reichen und mich mit Pizza zu füttern. Dann steht er auf und macht Feuer, wobei der gesamte Inhalt des Brennholzkorbs draufgeht. Sein Feuer ist viel größer als das von Wyatt. Dieses Feuer-in-Gang-Bringen
muss für männliche Amerikaner so was wie ein symbolischer Macho-Ritus sein. Gerry pfeift zufrieden zwischen den Zähnen, als es ordentlich lodert. Er legt leichte Jazzmusik auf. Ich komme mir vor wie in einem romantischen Film. Draußen fallen sogar ein paar Schneeflöckchen.
Gerry legt mir die Hand aufs Knie. »Ich finde, du solltest noch dableiben, Alice. Nächste Woche fahre ich nach Vegas. Komm doch mit.«
»Ich kann wirklich nicht.«
Er hört nicht auf mich. »Es geht um ein Riesengeschäft. Wir könnten ins Bellagio gehen.«
Ich habe keine Ahnung, was das Bellagio ist, aber es ist bestimmt sehr hübsch.
Ich schüttle den Kopf. »Wyatt wäre es sicher nicht recht, wenn ich seine Gastfreundschaft überstrapaziere.«
»Du kannst ja bei mir wohnen!«, ruft er aus. Dann beugt er sich vor, nimmt ein Schlückchen Wein und hebt die Schultern. »Ich weiß, was du meinst, mit Wyatt. Er ist ein hilfsbereiter Nachbar … bis zu einem gewissen Punkt.« Er verstummt.
Meine Neugier erwacht. »Was meinst du damit - bis zu einem gewissen Punkt?«
Er schüttelt den Kopf. »Ach, nichts. Wyatt ist ein netter Kerl.« Gerry legt den Arm um mich und küsst mich auf den Hals. »Reden wir lieber über dich«, murmelt er.
So angenehm das auch ist, die Frage nach Wyatts Wohlverhalten als Nachbar lässt mir keine Ruhe. Sanft schiebe ich Gerry weg. »Erzähl.«
Er lehnt sich zurück. »Es ist nichts weiter, Schätzchen.« Er zeigt mit großer Geste durch den Raum. »Ich werde doch nicht herkommen und mir über Wyatt das Maul zerreißen.
Man kann es ihm nicht verdenken, dass er mit all dem vielen Geld kriegt, was er will.«
»Was ist denn passiert?« Ich lasse nicht locker.
»Wenn’s ums Geschäft geht, steht er gern auf der Gewinnerseite«, sagt Gerry beiläufig. »Woran viele wohl gar nichts verkehrt finden. Ich bin vermutlich einfach von der altmodischen Sorte.«
»Was für ein Geschäft?« Ich rücke von Gerry weg bis zur Sofakante. »Nun erzähl schon.« Ich kann mir nicht vorstellen, dass Wyatt irgendwelche krummen Dinger dreht. »Er sieht doch so aus, als könne er keiner Fliege was zuleide tun.«
Gerry sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen scharf an.
»Diese Farm war über Generationen hinweg im Besitz von ein und derselben Familie. Das Farmhaus, die Scheune, das Land. Als der Farmer starb, ging das Anwesen an seine zwei Töchter über. Sie waren Missionarinnen und wollten es nicht
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