Zuckerleben: Roman (German Edition)
Sacra Corona Unita? Mir kannst du’s sagen; ich behalt’s für mich.«
»Ehrlich?«
»Ja. Du kannst absolut beruhigt sein.«
Der Moldawier parkt den Minibus, nimmt einen weiteren Zug aus seiner Parliament-Zigarette und antwortet, mit der qualmenden Parliament zwischen den Fingern gestikulierend:
»Ja, also wenn du’s unbedingt wissen willst, Mädel: Ich hab früher schon für die Sacra Corona Unita gearbeitet, dann bin ich auf die Comorra umgestiegen. ›Comorra‹ ist kürzer, leichter auszusprechen und die Jungs zahlen besser …«
Der Moldawier nimmt die Dose mit dem georgischen Tee zur Hand, hält sie an sein Ohr und schüttelt sie ein wenig.
»In handlichen Blutdiamanten.«
Der Moldawier lacht und stellt den Motor aus. Tolyan Andreewitsch dreht sich in seinem Sitz zu Cristina um und fährt fort:
»Aber das war alles früher. Und jetzt. Jetzt arbeite ich im Sonderreferat für Suizidprävention der Abteilung für Getreide, Zucker, Faserpflanzen und Futtermittel der Europäischen Kommission, Brüssel, Rue de la Loi 14, 7. Stock. Vom Leiter der Getreide-, Zucker-, Faserpflanzen- und Futtermittel-Abteilung Jean-Marc Gazagnes bin ich nach Ausbruch der Eurokrise nach Termoli geschickt worden, mit einer EU -Vollmacht. Im Auftrag der Kommission beobachte ich nun die EU -Bürger, die infolge der Eurokrise aus der Zuckerfabrik Termoli entlassenen wurden. Meine Aufgabe ist es, die suizidgefährdeten unter ihnen aufzuspüren und vom Selbstmord abzuhalten. Capisci? Deswegen bin ich jetzt in den Abruzzen unterwegs. Bei Pippo Calabrese kam ich leider zu spät, weil ihr Komiker euch mir vors Auto gelegt habt. Dafür habe ich jetzt eben euch vom Krisen-Selbstmord abgehalten. Sogar zweimal. Und jetzt. Jetzt bin ich gerade dabei, meinen Bericht über euch an den EU-Getreide-, Zucker-, Faserpflanzen- und Futtermittel-Abteilungsleiter Gazagnes nach Brüssel abzuschicken. Capisci? «
Tolyan Andreewitsch würgt seine Parliament aus, hebt wieder die Packung mit der georgischen Teedose in die Höhe.
»Hier, Pippos Asche schicke ich nach Brüssel, da er ja keine Hinterbliebenen in Italien hat. Deswegen werden seine Überreste bei uns im Sonderreferat für Suizidprävention der Abteilung für Getreide, Zucker, Faserpflanzen und Futtermittel der Europäischen Kommission als Eurokrisen-Reliquie aufbewahrt.« Der Moldawier lacht genüsslich, springt aus dem Minibus hinaus und wirft die Tür zu.
»Cazzo! «, ruft ihm Cristina hinterher.
12:22
Tolyan Andreewitsch befindet sich in der Toilette der Agip-Tankstelle und wäscht sich ausgiebig die Hände. Neben dem Moldawier steht breitbeinig ein blasser junger Mann in blauer Regenjacke mit aufgesetzter Kapuze und putzt sich die Zähne; gleichzeitig inspiziert der Mann akribisch sein Spiegelbild, als wollte er darin etwas Verborgenes ausmachen.
Links außen ein weiterer junger Mann in einer Gore-Tex-Weste, der sich die Wandersocken auszieht, die ein bisschen an seiner Haut kleben, und sein rechtes Bein verrenkt, um seinen nun nackten linken Fuß unter den Wasserstrahl zu bekommen. Die beiden Jungs, Mitte zwanzig vielleicht, sehen aus, als würden sie zusammengehören.
Touristen …, denkt sich Tolyan Andreewitsch und ruft dem Mann, der es endlich geschafft hat, seinen Fuss in das Waschbecken zu hieven, ein freundliches »Welcome to Italy« zu, mit einem italienischen Akzent.
»Thanks«, antwortet der Junge mit der Zahnbürste und lächelt. Im Waschbecken seines Nachbarn wird das Wasser dunkel und fuselig.
»Where you from?«
»Montréal.«
»Canada. Nice.«
Tolyan Andreewitschs Nebenmann spuckt einen schleimigen Schlatz aus Zahnpasta und Speichel in das Waschbecken aus.
»Fuck Canada. Nous sommes from Québec, tabarnak!«
Der Junge mit dem Fuß im Waschbecken nickt bekräftigend. Andreewitsch lächelt, sagt: »Tutto okay. Fuck Canada!«, erntet bestätigendes Kopfnicken seitens der kanadischen Touristen.
Der junge Mann links außen wechselt den Fuß.
Der andere kramt in seinen Taschen, holt daraus ein Geldstück hervor. Tolyan Andreewitsch nimmt es entgegen. Betrachtet die Banknote interessiert – ein blauer kanadischer 5-Dollar-Schein mit dem Porträt eines Mannes aus dem XIX . Jahrhundert darauf. Wilfrid Laurier, sein Name. Über Lauriers Stirn hat jemand eine französische Königslilie und um die Lilie herumgekurvt den Slogan »Vive le Québec libre!« gestempelt.
»Souvenir«, kommentiert der mit der Zahnbürste und bedeutet dem Moldawier, dass er die Banknote
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