Zuckerleben: Roman (German Edition)
fixierend:
»Du solltest das nicht tun.«
»Was?«
»Mich anhimmeln.«
»Und warum nicht?«, fragt Angelo interessiert.
»Frauen mögen Männer nicht, die sie anhimmeln. Das ist eine Tatsache.«
»Magst du mich also nicht?«
»Das habe ich nicht gesagt«, antwortet Cristina und tätschelt dem Jungen, der ein langes Gesicht macht, die Wange.
»Gib’s ruhig zu: Du stehst nur auf solche Arschlöcher wie Rocco. Stimmt’s?«
Cristina sieht ihn eine Zeit lang an, ohne etwas zu sagen. Dann, als wäre ihr endlich das eingefallen, was sie die ganze Zeit über sagen wollte:
»Ich weiß, was du jetzt brauchst.«
Das Mädchen gräbt entschlossen in dem schwarzen Rucksack herum. Daraus zieht sie einen größeren Schminkspiegel, eine Kaugummi-Packung, eine Plastikkarte – ihren italienischen Personalausweis – und einen neuen 20-Euro-Schein hervor und legt diese Utensilien neben sich ab. Aus einer kleinen zusammengeknüllten Plastikhülle, die sie einer bunten Kaugummi-Packung entnimmt, schüttet sie ein wenig weißes Pulver über dem Schminkspiegel aus. Geduldig verteilt sie mit ihrem Ausweis das Pulver gleichmäßig über den Spiegel, als wäre das Ganze eine seltsame Meditationsübung, und verteilt es in vier gleich lange und gleich dünne Linien. Sie leckt das weiße Pulver von der Karte ab und gibt Angelo den Spiegel.
»Was soll ich damit?«
»Halten. Und nicht bewegen.«
Cristina rollt den 20-Euro-Schein zu einem Trichter, beugt sich über den Schminkspiegel und zieht damit eine Linie durch das rechte und die daneben gelegene Linie an weißem Pulver gleich danach durch das linke Nasenloch in sich hinein. Das Mädchen tippt sich auf ihre delikaten Nasenflügel. Als sie sich an die kalte Badewanne zurückfallen lässt, spürt sie, wie ihre Zunge langsam taub wird. Sie lächelt.
»Jetzt du, Angelo. Die zwei Lines sind für dich.«
Der Junge beäugt sie erstaunt.
»Und was ist das?«
»Kokain.«
Der Junge weigert sich, das weiße Pulver anzutasten, vor allem, nachdem er erfährt, dass Cristina es von Rocco bekommen hatte. Schon wieder Rocco!, denkt sich der Junge: Den Typen wird man nicht los. Selbst wenn er nicht da ist, ist er doch irgendwie anwesend.
Dann aber, als Cristina ihn darum bittet und Angelo das Gefühl gibt, er sei für sie das Wichtigste auf der Welt, gibt er ihrem frechen Schmollmund nach. Auch um ihr zu zeigen, dass nichts dabei ist, sich zwei kleine Linien Kokain ins Hirn zu ziehen, und dass er das genauso kann wie sie oder wie Rocco oder wie wer auch immer.
Cristina schaut zu, wie die Linien auf ihrem Schminkspiegel in Angelos Nase verschwinden und sich der Junge allmählich entspannt.
Dann wiederholt sie die Prozedur: Auf ihrem Schminkspiegel bildet sie erneut vier Lines, die wieder durch das 20-Euro-Schein-Röhrchen abwechselnd in die Nasenlöcher der zwei Jugendlichen verschwinden. Dann befeuchtet der Junge auf Cristinas Anweisung hin seinen kleinen Finger und fährt damit über den Aufdruck »Repubblica Italiana« auf Cristinas Personalausweis, auf dem noch ein kleiner Rest des weißen Pulvers haften geblieben ist.
Allmählich wird Angelo redselig.
Er erzählt Cristina aus seinem Leben in Island.
Cristina hört ihm interessiert zu und lächelt ihn an. Das Mädchen spürt, wie ein unsichtbarer Aufzug sie in schwindelerregende Höhen hinaufbringt. Die Welt liegt ihr zu Füßen. Sie ist wunschlos glücklich. Sie kann tun und lassen, was sie will, und es macht sie glücklich, diesen Moment mit Angelo zu teilen und ihm zuzuhören. Es erfüllt sie mit einem Gefühl von innerer Ruhe und Glückseligkeit. Das Leben liebt mich. Und ich liebe das Leben!
»Du hast ein wunderbares Lächeln, Cristina. Und ich weiß genau, was es bedeutet!«, sagt Angelo aufgeregt, als hätte er Angst, seinen Gedanken zu verlieren oder von jemandem unerwartet unterbrochen zu werden.
»Und was bedeutet es?«
»Das kann ich dir genau sagen – es zeigt mir, dass du glücklich und auf eine engelhaft-unschuldige Art fröhlich bist.«
Cristina lacht. Und sie tut es nicht bösartig oder sarkastisch, sondern das Mädchen lacht ehrlich, offen und befreit, wie es Kinder tun, die nicht imstande sind zu lügen, sodass Angelo das Bedürfnis verspürt, dieses – wie dem Jungen scheint – himmlische Geschöpf zu umarmen, um das Glück, das es ausstrahlt, in sich aufzunehmen und mit ihm zusammen glücklich zu sein, dann auf die Knie zu fallen und Cristinas Schenkel mit Küssen zu übersäen.
Er ist dem Mädchen
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