Zuckerleben: Roman (German Edition)
Wasser rein. Und habe wieder deinen Klienten gerufen; ich habe ihm einmal sogar den aktuellen Schnapspreis rübergeschrien, weil ich dachte, das weckt ihn vielleicht auf. Hat es aber nicht.
Logischerweise.
Beim morschen Ast angekommen, habe ich mich dann in sein Boot gehievt. Und da hat’s mich sofort gerissen. Das hat mich so gerissen, Ilytsch, ich sag’s dir, wie wenn mir einer der Böttcher aus Saporozhije mit dem Spaten eine übers Gesicht gezogen hätte. Und dann gleich noch mal. Ich wär fast aus dem Boot rausgeflogen, so hat’s mich gerissen. Aber um deine Frage kurz und knapp zu beantworten: Ja, ich habe ihn erkannt.«
»Und was hast du dann gemacht?«
»Wie, was ich dann gemacht habe? Ich habe das Boot ans Ufer gezogen. Hierhin, unter die Buche, wo es jetzt auch steht. Wo wir jetzt stehen. Dann bin ich zur Scheune rüber, habe die Schnapsbrennanlage überprüft und deinen kleinen 5-Liter-Muscheltopf ausgetauscht, weil der irgendwie undicht war. Dann habe ich mir einen kräftigen georgischen Tee zusammengebrüht, dass der schon fast wie ein Tschifir geschmeckt hat, und habe dann 100 Gramm Samagon reingeschüttet, um meine Nerven zu beruhigen. Dazu habe ich ein bisschen westliche Musik angemacht. Kurze Zeit später bist auch du aus der Zuckerfabrik zurückgekommen, hast dir gleich die zwei Eimer geschnappt und angefangen, dich wie ein Besessener mit den Brennnesseln zu malträtieren. Ich habe mein Getränk ausgetrunken, bin aufgestanden und hab dir Bescheid gesagt. Und jetzt sind wir zusammen hier, beim Toten.«
Ilytsch dreht nachdenklich eine Runde um das Boot mit dem Dahingeschiedenen.
»Hat er etwas dabeigehabt? Ein Telefonbuch, einen Ausweis vielleicht? Wertgegenstände oder Geld?«
Roma Flocosu nimmt ein schönes, mit Stickereien verziertes Stofftaschentuch zur Hand, kramt damit vorsichtig in einer der Jackentaschen des Toten herum, zieht eine kleine Broschüre hervor und hält sie wie einen wertvollen Beweisgegenstand in die Höhe.
»Das hat er dabeigehabt.«
Ilytsch schaut sich die Broschüre ganz genau an, ohne das dünne Druckwerk zu erkennen oder daraus schlauer zu werden.
»Was ist das?«
»Unser ZGB. «
»Unser was ?«
»Das ZGB , das Zivilgesetzbuch der Sowjetunion. Na ja, der Moldawischen SSR , um genau zu sein. Es war bei Artikel 147 aufgeschlagen. Soll ich ihn dir vorlesen oder kennst du den Artikel schon?«
»Natürlich kenn ich ihn. Ich rezitiere jeden Tag vor der Morgengymnastik zwei Absätze daraus, um meinen Stoffwechsel zu stimulieren.«
»Ja, was jetzt?«
» VORLESEN .«
Der Ewig Hungrige Historiker trägt daraufhin mit klarer Stimme, wie ein gut geschulter Fernsehmoderator bei den Abendnachrichten, den Gesetzestext vor:
Art. 147. Unbeaufsichtigtes Vieh
Wer ein unbeaufsichtigtes oder zugelaufenes Tier eingefangen hat, ist verpflichtet, dies unverzüglich dem Eigentümer mitzuteilen und ihm das Tier zurückzugeben oder innerhalb von drei Tagen bei der Miliz oder beim Exekutivkomitee des Dorfsowjets der Deputierten der Werktätigen Anzeige zu erstatten, dass sich das Tier bei ihm befindet.
Die Miliz beziehungsweise das Exekutivkomitee des Dorfsowjets der Deputierten der Werktätigen haben Maßnahmen zur Ermittlung des Eigentümers zu treffen und das Tier für die Dauer der Ermittlung unter Einhaltung der Veterinärbestimmungen zur Pflege und Nutzung an die nächstgelegene Sowjet- oder Kollektivwirtschaft abzugeben. Die Leiter dieser Wirtschaften sind nicht berechtigt, die Aufnahme des Tieres zu verweigern.
Wenn der Eigentümer eines Arbeits- oder Nutztieres (und der dazugehörenden Jungtiere) im Laufe von sechs Monaten und der Eigentümer eines Kleintieres (und der dazugehörenden Jungtiere) innerhalb von zwei Monaten nach der Übergabe des Tieres an die Sowjet- oder Kollektivwirtschaft ermittelt wurde, ist ihnen das Vieh zurückzugeben. Wenn –
Ilytsch berührt Flocosus Arm, als Zeichen dafür, dass der EHH R. F. aufhören soll.
Roma Flocosu ist für einen Moment still.
»Das ZGB habe ich im Schaft seines linken Cowboystiefels gefunden.«
»Sonst war da nichts?«
»Nein, sonst nichts. Aber es reicht ja vielleicht schon, dass die Miliz die Fingerabdrücke vom –«
»Welche Miliz, Roma?«, unterbricht ihn der Held der sozialistischen Arbeit: »Hast du heute dein Paracetamol nicht genommen oder was?«
»Was heißt hier ›welche Miliz‹?
Wir müssen die Leiche den Behörden melden, Ilytsch. Das ist Usus. Dafür zuständig ist die UGRO , die
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