Zuckerleben: Roman (German Edition)
scheint es.
Und wieder das unsichtbare Pferd.
Es wiehert mehrstimmig, als würde es ein tiefsinniges Streitgespräch mit sich selbst führen. Sein Wiehern wirkt jedoch geradezu amateurhaft, verglichen mit dem jetzt einsetzenden, maschinengewehrartigen Dauertrillern der Grillen, die das Pferd mühelos übertönen.
In diese Geräuschkulisse eingebettet liegt das weiße Haus mit der Nummer 26.
Es befindet sich in der Corbulaner 9.-Mai-Straße, am Ende eines geräumigen Obstgartens, den Spitzwegerich, Kletten und sonstiges Gewächs umgarnt und in dem sich Weinreben zu den sonnengebleichten und hier und da bereits brüchig gewordenen Satteldach-Schindeln des Hauses emporrecken.
Über dem Satteldach ist ein Scheinwerfer aus militärischen Beständen der Sowjetischen Armee angebracht. Ein Gerät von der Sorte, das in der Nacht bei kleinster Bewegung im Garten und auch dort, wo ein Metallzaun den Garten des Hauses zur 9.-Mai-Straße hin abgrenzt, angehen und dem sich dort befindenden Passanten die volle Intensität seiner 2000 Watt ins Gesicht schlagen würde.
BLIMMM!
Der Scheinwerfer würde gleichsam auch den Wachhund des Nachbarn wecken. Dieser ist ein lichtempfindlicher Rottweiler namens »Faschist«, dem sein Herrchen Mihail Wassiljewitsch Casap stets aus einem von einem PPS ch-41-7,62-mm-Projektil perforierten Stahlhelm der Waffen- SS zu fressen gibt; Faschist würde sich nach Angehen des Scheinwerfers genötigt fühlen, auf Casaps Bretterzaun zu springen, den nächtlichen Spaziergänger anzublaffen und ihn, oder den potenziellen Einbrecher, zu veranlassen, das Weite zu suchen.
In diesem Einfamilienhaus mit der Nummer 26, dem Haus mit dem Scheinwerfer, liegt die Italienischlehrerin Nadja Pilipciuc über ein stabiles sowjetisches Bügelbrett vornübergebeugt.
Das Bügelbrett ächzt unter ihrem Gewicht.
Rappel – rappel. Rappel – rappel.
Neben der Italienischlehrerin stapelt sich fein säuberlich geordnete Wäsche zum Bügeln, die sie sich wohl zurechtgelegt hatte, um diese Arbeit gleich nach Wiederaufnahme der staatlichen Elektrizitätsversorgung zu verrichten.
Vor ihr befindet sich ein ausgeschalteter sowjetischer Fernseher der Marke Wasserfall 2. Auf dem Fernsehapparat ruht ein eingerahmtes Schwarz-Weiß-Foto, in welchem ein kleiner Junge mit einem weißen Spielzeugauto in der Hand den Betrachter ernst anblickt: »Mischa«, steht auf dem Bild mit einem Filzstift geschrieben. Hinter dem Foto mit dem Jungen hängt an der Wand ein moldawischer handgeknüpfter Teppich mit einem Muster von Mohnblumen.
Nadja trägt immer noch ihr nach Matrosenart gestreiftes Top, die mit Lederriemen geschnürten Sandalen und den knielangen Rock. Nur dass jetzt der Rock viel weiter nach oben gezogen wurde, um den Blick auf ihr Höschen freizugeben, das aber auch nicht da ist, wo es sein sollte, sondern ganz weit unten, in der Höhe ihrer geschnürten Sandalen.
Hinter Nadja keucht ein Mann Ende zwanzig in Uniform, Dienstgrad eines Stabswachtmeisters, mit mehreren sowjetischen Militärorden und Afghanistan-Auszeichnungen auf der Brust.
In regelmäßigen Abständen drängt der Unteroffizier mit einiger Verbissenheit seinen halbsteifen Penis in den Anus der Italienischlehrerin hinein, gleichzeitig seinen linken Zeige- und Mittelfinger Nadjas Mund aufdrängend, damit den Kopf des Mädchens auf das ächzende Bügelbrett drückend.
Rappel – rappel – rappel.
Rappel – rappel – rappel.
Das hellblau-weiß gestreifte Leibchen unter seinem Kampfanzug sowie das gut sitzende hellblaue Barett und die Einheitsabzeichen auf seinem Ärmel weisen den Stabswachtmeister mit der heruntergelassenen Hose, dem jugendlich-verwegenen Gesichtsausdruck und den gründlich rasierten Wangen, die eine frische Röte überzieht, als Angehörigen der sowjetischen Sondertruppen des Fallschirmjagdkommandos aus.
Der Stabswachtmeister sieht aus wie jemand, der jederzeit bereit ist, in einen Kampfeinsatz zu ziehen. Lediglich die Plüsch-Hauslatschen, in die der Unteroffizier seine weiß besockten Füße gesteckt hat, passen nicht zum übrigen martialischen Erscheinungsbild des Armeeangehörigen.
Der hochdekorierte Stabswachtmeister zieht mit seiner rechten Hand Nadja Pilipciucs Hintern enger an sich. Zieht seine mit einem dünnen Speichelfilm überzogenen linken Finger aus dem Mund der Italienischlehrerin. Steckt sich eine seiner Afghanistan-Medaillen, die ihm für seinen tadellosen Dienst während des Afghanistan-Einsatzes verliehen wurden, von der
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