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Zuckerleben: Roman (German Edition)

Zuckerleben: Roman (German Edition)

Titel: Zuckerleben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pyotr Magnus Nedov
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was hast du vor?«, fragt Tutunaru, um die unangenehme Pause und Stabswachtmeister Mischas schweren Blick zu überbrücken.
    »Ich? Ich bleibe hier, in der Union.«
    »Und was wirst du hier machen?«
    »Ich werde Samagon trinken.«
    »Und dann?«
    »Dann werde ich weitertrinken. Ich werde so lange trinken, bis ich diese Scheiße hier vergessen ha’. Und sie mich zurückrufen.«
    »Zurückrufen, wohin?«
    »Zurück … nach Afghanistan. Die sozialistische Regierung der Demokratischen Republik Afghanistan verteidigen, vor den islamistischen Terroristen, den Mameluken. Sieh her.« Mischa versetzt mit seiner flauschigen Plüsch-Hauslatsche einem Gegenstand unter dem Tisch einen leichten Tritt.
    Tutunaru schaut unter den Tisch und erkennt dort eine Reisetasche aus reißfestem grünem Stoff.
    »Mein Marschgepäck ist gepackt. Meine Ausrüstung und ich sind bereit. Ich brauch nur fünf Minuten, um mein Sturmgewehr vom Dachboden zu holen, und dann kann ich jederzeit los.«
    Tutunaru nickt, sich für den Bruchteil einer Sekunde in Mischas glasigem Blick verlierend, genehmigt sich eine weitere Dosis Samagon, dazu befördert er etwas vom frischen Birkensaft in seinen Organismus. Das Wohnzimmer in Mischas Haus mit der Nummer 26 fängt langsam an, um Pitirim zu rotieren. Tutunaru reißt sich zusammen und konzentriert seinen Blick auf einen fixen Punkt: den Schmutzfleck auf Mischas Tapete. Und versucht, das Summen der Komsomolzen-See-Mücke, die der Dondușenier Schwarzmarktspekulant im Hintergrund wahrnimmt, zu ignorieren. Innerlich fragt sich Tutunaru, wie viel Samagon er wohl noch vertragen könnte, ohne bald umzukippen, und schiebt unwillkürlich die Aluminiumtasse ein wenig von sich weg, Richtung Mischa. Und Mischa spricht weiter, als hätte der Unteroffizier die ganze Zeit über nur auf Tutunarus Signal mit der Aluminiumtasse gewartet:
    »Und da werd ich hingehen. Besser das, als hier zu leben und diese ganze Scheiße mitzubekommen, diese verfressenen Gesichter von Büroratten, diese menschliche Bösartigkeit mit ihrem blinden Hass, Gier und Neid auf alles und jeden, diese hölzernen Parolen, die niemand braucht! Besser zurück nach Afghanistan! Dort ist alles einfacher.«
    Und kippt vom Stuhl.

ZHURKOWS KARPFEN ZU BESUCH BEIM BULIBASCHA VON OTACI
    1991. OTACI, OCNIȚER RAYON, MOLDAWISCHE SSR
    Gipsy Town
    Mihailytsch ist genervt. Nicht nur, dass er extra nach Otaci fahren musste, um beim Bulibascha den Karpfen abzuliefern, was er sich ungefähr genauso sehnlich gewünscht hatte, wie die Krätze zu bekommen; zu allem Überfluss ist auch noch dermaßen viel los in der Mahala , in Bulibaschas Viertel, dass er kaum schneller als Schritttempo fahren kann. Ständig muss Mihailytsch auf die Bremsen steigen, um nicht irgendein schmuddeliges Roma-Kind anzufahren, das sorglos und voller unbekümmerter Lebensfreude mit seinen Spielkameraden über die Fahrbahn hüpft, als wären Autos dort absolut undenkbar, oder rasch das Lenkrad rumreißen, um einem mit Heuballen beladenen Pferdekarren Platz zu machen, von dem aus ihm lachende Gestalten zuwinken und ihn unvoreingenommen in Otaci willkommen heißen. Und so geht es in der gesamten Mahala bis zu Bulibaschas Straße weiter: Gelächter, Rufe der Begeisterung und des Staunens, eine Roma-Blaskapelle, die vor einer gut besuchten Trinkhalle am Straßenrand spielt, krähende Hähne, freudige Kinderrufe, mit Schmuck beladene Mütter in grellen Blumenröcken, die jemanden schelten, gelegentliches Hundebellen, Ia-hen eines Esels oder der gutturale Schüttelfrost von Truthähnen kommen aus den Hunderten Kehlen, die sich in Bulibaschas Mahala wie in einem türkischen Basar tummeln. Da sind an jeder Straßenecke auch gebräunte Männer mit breitkrempigen Hüten, glänzenden Zähnen und glitzernden Ringen, die miteinaner in Romanes plaudern, an kleinen Klapptischchen Domino spielen, gefälschte Rolex-Uhren und Batterien verkaufen, georgischen Tee trinken, moldawische Kosmos-, Axt light-, Ballade-, Flötchen- oder Astra-Zigaretten rauchen, Kupferkessel flicken und mit kleinen Hämmerchen drauf einschlagen, aus GAS -66-Lastern Zementsäcke, Ziegelsteine oder rote Gasflaschen mit der weißen Aufschrift PROPAN entladen oder ein stoisch dahinschreitendes Rind an der Leine von der Weide nach Hause begleiten.
    Als Mihailytsch in Bulibaschas Straße einbiegt, tritt links vor ihm ein Roma in wildem Emiliano-Zapata-Look in Erscheinung, der am Rand der gut besuchten Otacier Grillbude »Monte Carlo« seine zwei

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