Zuckerleben: Roman (German Edition)
der Titterman hätt auch turkmenische Volkslieder rückwärts gesungen. Deswegen, Tutunaru … Den mussten wir auch nicht sonderlich bitten, der hat uns alles erzählt, was wir wissen wollten. Sogar, dass er Mormone ist. Wir haben seine Sachen durchsucht. Das Buch Mormon hat er wirklich dabeigehabt, der Titterman.«
»Und was ist dann passiert?«
»Na ja. Tittermans Mameluken-Freunde kamen vorbei, ihren verlorenen amerikanischen Glücksbringer zu suchen … Tja, und als dann alles vorbei war und wir ihre Leichen fertig vermint hatten, kommt Kabel zu mir, drückt mir Tittermans Beretta mit zwei Reservemagazinen in die Hand und sagt: ›Pilipciuc, die ist für dich‹, nickt in Tittermans Richtung, dann wieder zu mir, flüstert ›Mit bester Empfehlung aus Illinois‹ und lacht. Die M -16 hat er aber für sich behalten, der Kabel. So war das. Seither ist Tittermans Beretta für mich zu einem Andenken an die Zeit geworden, zu so einer Art Echo des Krieges.«
»Und was ist mit Titterman selbst passiert?«
»Mit Titterman? Den hat unser Sanitäter gerettet. Wir haben ihn dann rausgeflogen, zu unserer Basis nach Baraki-Barak. Ein paar Monate später haben sie ihn gegen einen unserer Jungs ausgetauscht und zurück nach Amerika geschickt, wie ich gehört habe. Nach Illinois wahrscheinlich, den Mormonen. Tja. Vielleicht hat er wieder seinen alten Job in der Müllverbrennungsanlage bekommen und hat die guten alten Afghanistan-Zeiten schon vergessen … Kabel hat den Krieg leider nicht überlebt. Dabei haben sie ihn nach der Sache mit Titterman zum Major befördert. Mir haben sie auch diesen Orden hier gegeben.« Mischa zeigt auf die Afghanistan-Medaille, mit der er zuvor seinen Namen, das Kürzel seiner Einheit und seine Blutgruppe in Nadjas Hintern geritzt hat. »Da, das Foto, das du dir angeschaut hast, das ist er doch, der Kabelenko; der Typ mit dem dünnen Husarenbart. Seinen Mi-24-Hubschrauber haben die Mameluken 1988 mit einer dieser Stinger- FIM -92-Boden-Luft-Raketen runtergeholt. In Kundus war’s, kurz vor der sowjetischen Grenze. Und der war auf dem Weg in den Heimaturlaub. Der hat echt kein Glück gehabt, der Kabelenko …
Manchmal dreht sich mir der Schädel, es dröhnt, als würde eine Kolonne BTR -Panzerfahrzeuge ganz knapp an meinem Ohr vorbeifahren. Und das Rattern von ÜSMG s, von 2-cm-Kanonen, die ihre Projektile mit diesem metallischen Schluckauf auswerfen, fallen aus allen Richtungen über mich her. Und ich kämpfe mit ganzer Kraft dagegen an, das Gleichgewicht nicht zu verlieren, als würd ich mich an Deck eines Segelbootes auf rauer See bewegen und die Wellen wären nur drauf aus, mich über Bord zu spülen. Ich wär auch beinahe abgekratzt, 1988. Kann’s immer noch nicht glauben, dass es schon drei Jahre her ist … Bin mit einer schweren Kontusion davongekommen … Na ja. Egal. Scheiß drauf.«
Mischa verstummt.
Stille.
Der Stabswachtmeister schenkt Samagon aus Tutunarus Kanister nach; sein nebliger Blick umarmt den Dondușenier Schwarzmarktspekulanten, der konzentriert einen Farbfleck an der Tapete betrachtet.
»Und du? Du willst also nach Italien, verlässt das sinkende Sowjet-Schiff, was?«
»So könnte man das sagen, ja.«
»Und willst die Nadja mitnehmen nach Dondușeni. Oder wie?«
»Ja, ich würd Nadja gerne ein paarmal die Woche zum Italienischunterricht entführen, sozusagen. Wir fahren sie natürlich auch wieder zurück, nach Corbu … Ich meine, Nadja ist doch Italienischlehrerin; so hat sie wieder einen Job, hat etwas zu tun. Und verdient sich etwas dazu, und –«
»Wenn du den Samagon hierlässt, kannst du sie haben, die Nadja! Sie hätt’s hier im Dorf sowieso nicht lange ausgehalten. Ist die Großstadt gewöhnt. Sie ist ja nur aus Chișinău zurückgekommen, weil es dort nichts mehr zum Beißen gibt. Aber hier am Land schon noch, zum Glück. Es ist Sommer. Der Boden ist bei uns fruchtbar, wir haben den Tschernosyom, die beste Erdsorte der Welt. Selbst die Japaner wollen unsere Erde importieren, damit ihre Bonsai-Bäumchen besser wachsen. Also, der Rest von deinem 10-Liter-Samagon-Kanister, und du kannst Nadja mitnehmen. Was sagst du dazu, Hand drauf?«
Tutunaru ist sich nicht sicher, ob Mischa das ernst meint, was er da sagt.
»Wollen wir nicht erst mal Nadja fragen, ob sie –«
Stabswachtmeister Mischa winkt ab.
»Das passt schon, nimm sie mit.«
»Sie schläft ja noch. Ich meine, es ist mitten in der Nacht, fast 4 Uhr.«
»Wenn sie aufwacht, dann.«
»Und
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