Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin
geschwungenen Wimpern ab. Ihre Mieder waren tief ausgeschnitten - so tief, dass es in der Tat ein Wunder war, dass ihre üppigen Brüste nicht aus den Kleidern herausquollen -, und die meisten hielten kunstvoll gearbeitete Fächer aus Federn in der Hand. Diejenigen, die sich nicht kokett hinter ihren Fächern versteckten, trugen Masken, die an Stäben vor das Gesicht gehalten wurden.
Es fiel mir schwer, nicht zu gaffen, und schließlich musste Abby regelrecht an meinem Arm zerren, um mich von der Stelle zu bewegen. »Komm weiter, Hannah«, zischte sie. »Du glotzt wie ein Bräutigam vom Lande in einem Bordell.«
»Entschuldigung«, murmelte ich. Doch ich rührte mich nicht, denn meine Blicke waren gerade auf eine Frau in einem auffälligen, grellen fuchsienroten Kleid mit perlgrauem Unterrock gefallen, die den größten und absurdesten Kopfschmuck aus Blumen und aufgestecktem Haar trug, den ich je gesehen hatte. Es war eine ältere Dame, sie musste mindestens sechzig sein, und ihr Gesicht und ihr Oberkörper waren wachsweiß bemalt und über und über mit schwarzen, paillettenbesetzten Schönheitspflästerchen bedeckt. Ihre Lippen waren blutrot und ihre aufgemalten Augenbrauen bildeten große Halbkreise, so dass sie aussah, als sei sie permanent überrascht.
»Wer ist denn das?«, fragte ich Abby leise. »Irgend-jemandes Geliebte?«
Abby lenkte ihren Blick dorthin, wohin ich starrte, und schauderte. »Vor vielen Jahren vielleicht«, sagte sie. »Und jetzt trägt sie Puder und Schönheitspflästerchen, um ihre Falten und Pockennarben zu verdecken. Gebe Gott, dass du und ich gute Männer finden, die lange leben, Hannah, denn ich möchte in ihrem Alter nicht wieder auf dem Markt sein.« Sie zupfte mich am Ärmel. »Komm weiter, ich muss silberne Bänder für meine Herrin besorgen. Es geht ihr etwas besser, und sie will sich unbedingt aufputzen.«
Selbstsicher ging sie auf eines der kleinen Geschäfte zu, und ich stolperte hinter ihr her, neugierige Blicke in alle Richtungen werfend.
In den Lädchen wurden tausenderlei verschiedene Luxusartikel verkauft: Schachteln aus Schildpatt, Konfektdosen aus Silber, Umhänge aus Samt, weiche Lederhandschuhe, juwelenbesetzte Taschen, Unterröcke aus Satin, Uhren, Masken, Vogelkäfige, Taschentücher aus Leinen und alle erdenklichen Kurzwaren. Das einzige Geschäft, das ich dort nicht sah, war eine Zuckerbäckerei, und sofort fing ich an davon zu träumen, dass wir einen Laden hier hätten, dass Sarah und ich beim Royal Exchange wären und unser Ladenschild mit der kandierten Rosenblüte zwischen den vielen anderen funkelnden Schildern hinge.
Abby erledigte ihre Besorgung, und wir machten uns widerwillig auf den Heimweg, doch zuvor drehten wir noch eine Runde um den Innenhof. Dort sahen wir eine sehr schöne, elegante, hoch gewachsene Frau in feuerfarbener Seide, von der Abby sagte, dass es Barbara Castlemaine sei, die Geliebte des Königs. Allerdings konnte ich von dieser Dame kaum mehr erkennen als den Kopf und die wohlgeformten Schultern, denn sie war von einer kleinen Schar von Kavalieren umringt, die anscheinend alle versuchten, sich gegenseitig an Prahlerei und gezierten höfischen Gebärden zu übertreffen.
Ich ließ Abby beim Haus Belle Vue zurück, wo sie in Dienst war - einem schönen fünfstöckigen Anwesen inmitten eines gepflasterten und blumenbepflanzten Hofs mit Ställen an der Seite. Abby versprach, es mir zu zeigen, wenn ihre Dienstherren das nächste Mal ausgingen. »Das ist ganz ungefährlich, denn die Köchin verbringt ihre Nachmittage damit, zu trinken und mit den Stallburschen Karten zu spielen, und die Haushälterin hat einen Liebhaber und ist nie da. Wenn Mr. Beauchurch außer Haus ist und die Herrin schläft, habe ich freie Hand im Haus«, sagte sie. Dann warf sie mir einen fragenden Blick zu. »Aber da wir schon von
Liebhabern sprechen... Du hast ja noch gar nichts von deinem Verehrer erzählt. Er heißt doch Tom, oder?«
Ich wurde rot. »Tja, weißt du, in Wirklichkeit kenne ich ihn kaum«, musste ich zugeben.
»Ach, wirklich?«
»Doch wenn man jemanden kennen lernen würde, indem man an ihn denkt, muss ich gestehen, dass ich ihn inzwischen gut genug kenne, um ihn zu heiraten!«, fügte ich hinzu.
Sie lachte. »Du wirst dir etwas ausdenken müssen, um ihn wiederzusehen. Das ist nicht schwer. Mein Schatz ist bei einem Buchbinder in der Lehre, und ich denke mir allerlei gute Gründe und Ausreden aus, um hinzugehen und ihn über das Buchgewerbe
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