Zuckermond
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Rafael fühlte sich benutzt, abgelegt und innerlich leer. Abgelegt wie einen alten Schuh, den man nicht mehr tragen wollte. Er verspürte den Wunsch mit Leonard zu sprechen, wusste allerdings, dass dieser erst kurz vor Mitternacht – als Geburtstagsüberraschung – von einer Stammkundin gebucht wurde. Einer Kundin, die für ihre langen, ausschweifenden Gesellschaften bekannt war. Und bisher war Leonard noch nicht zurück. Leonard und er waren nun schon seit sieben Jahren befreundet. Vor acht Jahren hatten sie sich im Bahnhofsviertel kennen gelernt, als der obdachlose Rafael, der damals als Strichjunge sein tägliches Brot verdiente, von einem Freier genötigt wurde in sein Auto zu steigen, was dieser aber nicht wollte. Er wehrte sich gegen eine „schnelle Nummer“ im Auto. War schon immer dagegen gewesen, barg sie doch ein erhöhtes Risiko. Leonard, der in diesem Jahr ab und an in einer Table-Dance-Bar gestrippt hatte – damit auch den weiblichen Besuchern etwas geboten wurde – kam gerade vorbei und half Rafael aus der Patsche. Anschließend nahm er den damals Achtzehnjährigen bei sich auf und als Dank half Rafael Leonard bei der Renovierung seines baufälligen Hauses. Sie verstanden sich von Beginn an prächtig und schließlich bauten sie das obere Geschoss so um, dass daraus eine separat begehbare kleine Wohnung für den bisher obdachlosen Rafael entstand. Dank Leonards Hilfe, bei dem die Ladys schon damals Schlange standen, stieg Rafael vom einsamen obdachlosen Strichjungen und Stripper zu einem angesehenen Callboy auf und so teilten sie sich künftig den Unterhalt für das Haus. Mit den Jahren wuchs eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden. Sie gingen durch dick und dünn und auch wenn Rafael – der sich zu beiden Geschlechtern hingezogen fühlte – anfangs in Leonard vernarrt war, so hatte er doch sehr schnell registriert, dass er bei ihm nicht landen konnte. Denn Leonard hatte, nach jahrelangem Ausprobieren mit beiden Geschlechtern, schon längst für sich festgestellt, dass für ihn nur noch das weibliche Geschlecht in Frage kam. Aus seiner anfänglichen Schwärmerei für den um sieben Jahre älteren Callboy Leonard waren schließlich tiefe freundschaftliche – ja fast brüderliche Gefühle entstanden und ihre Freundschaft hatte sich schon tausendfach bewährt. Das Band ihrer Freundschaft war mittlerweile so stark, dass jeder blind für den anderen die Hand ins Feuer gelegt hätte. Rafael gefiel es in seiner Wohnung. Denn hier hatte er sein eigenes Reich und dennoch immer jemandem zum Reden, wenn ihm danach war. Na ja, fast immer… Denn in diesem Augenblick schlug er sich schließlich alleine mit seinem Kummer herum. Er dachte an Marcel – ebenfalls Callboy – in den er sich vor zwei Monaten verliebt hatte, und an den Schock, als er diesen am Abend zuvor – frisch verliebt und knutschend – mit einem anderen Mann gesehen hatte. Rafael hatte am Abend zuvor als Stripper in einer Table-Dance-Bar gearbeitet. Anschließend war er ein wenig durch das Viertel geschlendert, denn hier war er einmal zu Hause gewesen. Er bummelte gern durch den Rotlichtbezirk des Bahnhofsviertels, dachte an alte Zeiten zurück und machte sich so immer wieder bewusst, welch verdammtes Glück er damals gehabt hatte, als Leonard sich seiner angenommen hatte. Er lief an diesem Abend – wie so oft – vorbei an Touristen, Pornokinos, Bordellen, Sexshops und Hauseingängen, in denen heruntergekommene Gestalten saßen. Da die Stadt Frankfurt als erste deutsche Stadt einen so genannten Konsumraum eingerichtet hatte, hatten die Abhängigen hier die Möglichkeit, stressfrei und hygienisch illegale Drogen zu spritzen. Rafael schauderte es, denn obwohl er diesen Anblick schon in jungen Jahren jahrelang täglich miterlebt hatte, hatte er einen Horror vor Drogen und diesen Bildern. Er wusste, dass dieses Teufelszeug der Untergang war und hatte sich deshalb stets von irgendwelchen Rauschmitteln fern gehalten. Was nicht einfach war, denn manche Nächte da draußen waren oftmals nur im Delirium einigermaßen erträglich gewesen. Aber er hatte stets genug gesunden Menschenverstand gehabt, um zu wissen, dass dieser vermeintliche Glücksrausch geradewegs in die Hölle führte. Ihm tat jeder Einzelne, der diesem Sog ausgeliefert war, unsagbar leid und wusste es von Mal zu Mal mehr zu schätzen, ein behagliches Zuhause zu haben und nicht mehr als Strichjunge unterwegs sein zu müssen. Noch ein kleiner
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